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Am Ziel

von Thomas Bernhard/ Premiere: 23. April 2004 / Großes Haus
Dauer 2 h 20 m

Regie: Jan Bosse; Bühne: Stéphane Laimé; Kostüme: Kathrin Plath; Musik: Arno P.J. Kraehahn; Darsteller: Marina Galic, Jens Harzer, Jennifer Minetti


„... das Wort und das Schweigen dazwischen“
Mutter und Tochter reisen immer am selben Tag ans Meer, seit 33 Jahren reisen sie nach Katwijk, um dort den endlosen Rhythmus von Ebbe und Flut zu geniessen. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, bestimmt durch die mütterliche Hassliebe und ihre Quälrituale, ist in erster Linie eine Machtbeziehung. Mutter und Tochter packen in ihrer Wohnung in Rotterdam die Koffer. „Es ist jedes Jahr das Gleiche / Ich habe nur ein Ziel / das ganze Jahr Katwijk“. In monologischen Erinnerungsspiralen rollt die Mutter die Familiengeschichte aus: Die Heirat mit einem Gußwerkbesitzer, den sie hasste und von sich fernhielt. Der Tod des verkrüppelt geborenen Sohnes Richard, dem sie von Anfang an nichts anderes wünschte als den Tod. Das Kontrollieren und Festbinden der Tochter seit dem Tode ihres Mannes vor 20 Jahren.
Mit permanentem Reden versucht die Mutter sich in ihrem Leben einzurichten. Es gibt für sie kein Innehalten, kein Schweigen. Reden gibt Sicherheit und verleiht die Gewissheit, zu leben und zu kontrollieren. Reden als sprachlicher Stabilisierungsmechanismus. Die Stimmung schwankt zwischen Komik und Tragik: menschliche Verzweiflung, um die sich alles dreht.
Die etablierte Sicherheit der Mutter wird gefährdet durch den Auftritt des dramatischen Schriftstellers. Der Eindringling strukturiert die zweite Hälfte des Stücks, in der Mutter und Tochter im Haus an der Küste ihre Koffer auspacken. Er fordert die Mutter mit seinen Gedanken und mit der Gesellschaft verändernden Kraft des Theaters heraus, insbesondere mit seinem hoch gejubelten Stück ‚Rette sich wer kann‘. Tochter und Schriftsteller bestimmen durch ihr Schweigen und Intervenieren die Monologe der Mutter. Sie wird zum Medium eines fiktiven Selbstgesprächs. Dieses pendelt zwischen Selbsthass, Selbstkritik und Vernichtungsphantasie.


Der Österreicher Thomas Bernhard (1931 – 1989) gehört nicht nur zu den meist gespielten deutschsprachigen Dramatikern der Nachkriegszeit, sondern auch zu den umstrittensten. Kaum ein Theaterautor spaltet mit seinen Stücken (u.a. Ein Fest für Boris / Die Macht der Gewohnheit / Minetti / Ritter, Dene, Voss / Heldenplatz) das Publikum in zwei derart unversöhnliche Lager. Auf der einen Seite uneingeschränkte Zuneigung und Gefolgschaft und auf der anderen radikale Abweisung und Ignoranz. Dementsprechend wird der Autor „konservativer Anarchist“ , „Übertreibungskünstler“ , „Geschichtenzerstörer“ oder „Beamter“, „Nestbeschmutzer“, „Fallenstel-ler“ und „Langweiler“ genannt. Diese polarisierte Atmosphäre um den Dichter hat Bernhard zwar genossen und selbst geschürt, aber gleichzeitig hat er unter ihr in lebensbedrohender Weise gelitten.
Der eigenwillige Schriftsteller, der für sein literarisches Schaffen (Prosa und Drama) mehrfach ausgezeichnet wurde, einen eigenem landwirtschaftlichem Hof besass und als Direktor des Wiener Burgtheaters im Gespchäch war, fordert sein Publikum immer wieder aufs Neue heraus: „ … / die Leute verstehen nichts / und klatschen sich zu Tode / weil sie gerade zum Klatschen aufgelegt sind / aber sie beklatschen auch ihr eigenes Begräbnis / und beklatschen jede Ohrfeige / die sie bekommen / sie werden von der Rampe runter geohrfeigt / und beklatschen das / Es gibt keine grössere Perversität / als die Perversität des Theaterpublikums“.

Berühmt ist Thomas Bernhards für seine Selbstreflexionen. Sie wurden geschätzt, gesucht und auf der absoluten Wahrheitswaage abgewogen. Bernhard selbst trat mit größtem Vergnügen in Interviews und Reden als Manipulator der Rezeption seines Werkes auf, insbesondere in den Massenmedien, die eine zentrale Rolle im Prozess der Skandalisierung und Simplifizierung des literarischen Werkes spielen. Thomas Bernhard schlich sich oft in Interviews in die Rolle seiner Figuren, zitierte sie, variierte sie oder widersprach ihnen. Seine Stellungnahmen sind vielschichtig und maskenhaft. Doch ihren Reiz und ihre Überzeugungskraft haben sie bis heute nicht verloren: „Das Dargestellte ist eine Fälschung / Wenn das Werk lacht / weint der Dichter / und umgekehrt / und alles immer wieder umgekehrt / und falsch …“ (Über allen Gipfeln ist Ruh).
Die folgenden Interviewausschnitte stammen aus dem Fernsehporträt, das Krista Fleischmann von Thomas Bernhard 1981 während dessen Ferien auf Mallorca recherchierte.

FLEISCHMANN Sie werden immer wieder als der in der Heimat Entfremdete bezeichnet. Gibt es diesen Begriff „Heimat“ für Sie überhaupt?

BERNHARD: Der Begriff „Heimat“ gibt’s ja für jeden, glaub’ ich. Nur es fragt sich, wo er sie hat. … Meine Heimat ist dort, wo ich grad’ bin. Also bin ich immer zuhaus’ und immer daheim.

Haben Sie dann Sehnsucht nach Österreich?

Die erste Zeit nie. Sehnsucht hab’ ich da überhaupt keine. Aber manchmal, nach einer Zeit, wird einem das auch fad und dann fahrt man halt wieder woanders hin. Oder fahrt wieder nach Haus, nicht. Aber die Meerluft ist ja wunderbar. Und Sie sehen ja selber, wie schön das da ist, und das ist für die Arbeit nur förderlich. Schiffe sind immer angenehm, und das Meer ist unbezahlbar. Besser als das Gebirge. Das macht eher stumpfsinnig. Und das Wasser und das Meer weitet die Venen …

Welche Bedeutung hat die Landschaft in Ihrem Werk?

Na, eine untergeordnete. Ich schreibe immer nur über Landschaften, und die sehen die meisten Leut’ nicht, weil sie innen fast nix sehen. Weil sie immer glauben, wenn’s drinnen ist, ist’s finster, und dann sehen sie nix. Ich glaub’, ich hab’ überhaupt noch in keinem Buch eine Landschaft beschrieben.

Beobachten Sie manchmal die Natur?

Ich beobachte ununterbrochen, wenn ich nicht schlaf’, und sogar wenn ich schlaf’, beobachte ich, weil der Mensch ja auch im Schlaf noch intensiver beobachtet, als wenn er wach ist, nämlich im Traum …

Nehmen Sie diese Träume manchmal in Ihre Dichtung auf?

Erstens ist mir das Wort Dichtung fast zum Anhören schon unmöglich, aussprechen selber kann ich’s sowieso nicht, und man nimmt natürlich alles in das, was man beschreibt, auf und dann wahrscheinlich auch Träume, nicht. Aber bewusst hab’ ich das nie gemacht. …

Glauben Sie an den Himmel?

Ich hab’ immer an den Himmel geglaubt, schon als Kind. Je älter ich werde, desto mehr glaube ich daran, weil der Himmel was sehr Schönes ist. Dort haben alle Leute immer frisch geputzte, weiße Kleider an. … An die Hölle glaub’ ich nicht. Die ist mir zu schmutzig, zu heiß, zu schwarz, zu grauslich, und der Himmel ist das alles nicht. Und Sie sind sicher ein Engel dann in dem Himmel. Ich wird’ auf Sie zufliegen in einem weißen Hemd mit schöner Stickerei drauf. Und wenn das Hemd mir zerreißt, werden Sie mir’s vielleicht wieder flicken, wenn Sie Lust haben dazu, mit dem geeigneten Zwirn, dem Himmelzwirn. Glauben Sie nicht?

Ich glaub’ nicht an den Himmel und auch nicht an den Himmelzwirn.

Naja, aber, Sie werden schon noch glauben. Sie werden sehen, wenn Sie am Totenbett liegen, glauben Sie plötzlich an den Himmel.

Sie glauben also, der Mensch braucht etwas, woran er glaubt?

Na, er braucht es nicht, er hat ja immer was, weil wenn er plötzlich nix mehr hat, woran er glaubt, ist er ja tot, nicht.

Was hält Sie am Leben?

Na, auch der Glaube an die Mindestrente in erster Linie. Vielleicht noch ein paar Sachen, aber hauptsächlich, glaub’ ich, ist es das. Das weiße Hemd im Himmel und die Mindestrente.

Als Schriftsteller haben Sie ja keine Rente.

Ich krieg’ ja eine landwirtschaftliche Zuschussrente. Da zahl’ ich ja seit zwanzig Jahren ein. …

Wie arbeiten Sie?

Sehr konzentriert. Möglichst in der Früh. Von fünf Uhr früh bis neun Uhr Vormittag, dann geh’ ich spazieren, hol’ mir die Zeitung und trink’ einen Kaffee, genieße absolut das Nichtstun, die gute Luft und die herrliche Sonne, wolkenlose Tage, die Berge, und die Menschen sind plötzlich auch herrlich. … Und dann ein bisschen Fernsehen. Auch wenn’s Spanisch ist. Man sieht die Gesichter und denkt sich was dazu. Und wenn man die Sprache nicht versteht, ist das sehr erholsam, weil man immer mehr hineintut, als sie wirklich aussagen die Bilder, wahrscheinlich. Und daheim sieht man Bilder und versteht alles, und es ist lauter Schmarrn. Und hier ist es wahrscheinlich auch lauter Schmarrn, aber man merkt es nicht, weil man’s nicht versteht. Und dann ist für die Arbeit am allerwichtigsten, für mich jedenfalls, in einem Land zu sein, wo man die Sprache nicht versteht, weil man ununterbrochen das Gefühl hat, die Leut’ sagen nur angenehme Dinge und reden eigentlich nur wichtige philosophische Sachen. …

Brauchen Sie nicht auch manchmal das Unangenehme zum Schreiben? Das, was Sie ärgert?

Um das braucht man sich ja nicht zu sorgen, weil das verfolgt einen ja auch nach Spanien. Und im Grund schreib’ ich ja eh nur, ja, weil’s halt unangenehm ist, weil’s sehr viel unangenehme Sachen gibt. Die hat jeder Mensch. Aufstehen ist schon unangenehm, nicht. Und dann, wenn man drüber nachdenkt, was daheim alles passiert, vielleicht passiert ist, alles sehr unangenehm. Und das ist notwendig. Im Grund schreib’ ich ja nur aus dem Grund, weil vieles unangenehm ist. …

Man wirft Ihnen oft Ihre negative Einstellung zum Leben vor, stimmt das überhaupt? Sind Sie ein negativer Mensch?

Nein. Ich hab’ eine völlig normale Einstellung zum Leben, wie alle anderen normalen Menschen auch wahrscheinlich, und die ist nicht nur negativ, aber sie ist eben auch nicht nur positiv. Denn man begegnet ja ununterbrochen allem. Das macht ja das Leben aus. … Und einer schreibt irgendeine Kasperliade, ob blöd oder nicht, ist ja wieder eine andere Frage oder gar keine Frage, und der bleibt lebenslänglich ein Kasperl. Und ich bin wahrscheinlich lebenslänglich der negative Schriftsteller. Aber ich muß sagen, ich fühl’ mich in der Rolle ganz wohl, weil sie mich gar nicht irritiert. Weil die Leut’ sagen, ich bin ein negativer Schriftsteller, und ich bin aber gleichzeitig ein positiver Mensch. Also kann mir ja nichts passieren, nicht. Oder? Ist es ein gefährlicher Zustand? Ich weiß nicht. Ich find’ alles sehr angenehm, vor allem, wenn ich weit weg bin von daheim und angenehme Leute um mich herum hab’ und Palmen und bißl einen Wind und einen guten Kaffee.

Wo sind Sie geboren?

Ich war nicht dabei, aber ich glaub’, völlig normal. Es war weder Kaiserschnitt noch sonst ein hilfreicher Schnitt oder Dehnung oder was. – Sie wollen aber fragen, wo, und ich hab’ das jetzt schäbigerweise abgebogen. Das war in Holland in einem Kloster für gefallene Mädchen. … Das war in Heerlen, nicht in Holland eigentlich, weil das war im südlichen Holland und das heißt Niederlande. … Ich war ja als Neugeborenes zwangsgeboren in Holland, ein zwangsgeborenes Kind war ich. … Dann bin ich aber von dort, weil wenn man dann auf der Welt ist, wird die Mutter mit dem Kind eh gleich wieder abg’schoben, … und da ist meine Mutter nach Rotterdam, und das gibt’s natürlich arme Leut’ am Hafen, die am Fischkutter sind, und die wollen sich a bißl was dazuverdienen, und da hat sie ein Schiff gefunden und mich, wie’s so schön heißt, „in Pflege gegeben“, auf einen Fischkutter. Und so habe ich die ersten Monate meines Lebens nicht am Meer, sondern auf dem Meer verbracht.

Haben Sie oft kommuniziert?

Na sicher. Als junger Bua und Katholik geht ja jeder zur Kommunion und zuerst zur Beichte. Jedesmal, wenn ich zum Beichtstuhl ’kommen bin, hab’ ich in die Hosen g’macht vor Schreck vor’m lieben Gott, weil ich mir gedacht hab’, der sieht jetzt alles und merkt, was das los ist … Insofern hat die Kirche ja an mir sehr viel gut zu machen, aber das kann sie leider nicht, weil sie zu blöd ist dazu. Sie hat ein Menschenleben auf dem Gewissen.

Inwiefern?

Die Kirche. Na, in dem sie mich zum Lulumachen provoziert hat vor’m Beichtstuhl, logischerweise, nicht. Das sind ja furchtbare Wirkungen: die Drohung, Hölle und alles das, auf ein junges Kind. Ein Kind ist natürlich immer jung, werden Sie sagen, oder? Sie sagen, ein Kind ist alt? Gibt’s allerdings auch. Meine Großmutter hat drei Kinder auf die Welt ’bracht, davon haben zwei überlebt, meine Mutter und ihr Bruder, mein Onkel. Und ein Kind, hat sie immer erzählt – das hab’ ich jetzt in irgend einem Buch sogar beschrieben –, bei der Geburt, hat so ausgeschaut wie ein Achtzigjähriger, hat ein furchtbar verhutzeltes Gesicht, wie ein alter, sogar verkommener Greis, g’habt. Hat sie immer erzählt. Für eine Mutter muß das ganz grauenhaft sein. … Man hätte es eigentlich in einen Kindersarg geben müssen, in einen weißen, weil es ja im Grund Kind war, weil es aber andererseits über achtzig war, hat’s einen dunklen Sarg bekommen, wiel kein anderer da war allerdings.