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Spielplan



I will survive!

Matthias von Hartz: Arche 2006?


Wer rettet wen oder was, warum, wovor und wohin, und wer darf mit? Keine Frage, die Lage ist ernst. Doch wir sind weit davon entfernt, uns in landesüblichem Pessimismus oder gar Lethargie zu üben. Ganz im Gegenteil, wir sind voll und ganz davon überzeugt, daß Vieles zu retten ist und wir am besten heute damit anfangen.
Als Theater hantieren wir gern mit drastischen Bildern und neben der Bildzeitung arbeiten sonst nur noch Umweltbewegungen mit Untergangs- und Überlebensbildern. Mit der abnehmenden gesellschaftlichen Relevanz des christlichen Glaubens bleiben die Bilder von Sintflut und Arche Metaphern, selbst wenn die Erde in den letzten Jahren mehr katastrophale Fluten erlebt hat als wir uns je vorstellen konnten.
Darüber hinaus haben wir in den letzten Jahren das Ende von einigem anderen erlebt. Weitere Untergänge drohen, Archen sind wenige in Sicht und alternative Gefährte werden meist nur zum individuellen Gebrauch gebaut – soweit wir das überblicken. Gleichzeitig retten sich durch alle Stürme hindurch hartnäckig Dinge, die es eigentlich längst nicht mehr geben dürfte. Die Illusion, daß es irgendwann wieder Arbeit für alle geben wird, scheint so unabdinglich sinnstiftend für westliche Gesellschaften zu sein, daß sie alle politischen Fluten der letzten Jahre überlebt hat. Die letzte Bundesregierung mag unter anderem daran gescheitert sein, die Vollbeschäftigungslüge wird aber vermutlich noch mehrere Regierungswechsel überdauern. Es sieht so aus, als würde stattdessen die mitteleuropäische soziale Markwirtschaft, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, die nächsten Jahre nicht ganz so unbeschadet überstehen. Die Ökonomisierung und Kommerzialisierung gesellschaftlicher Bereiche schreitet weitgehend unwidersprochen voran. Das Credo „wir können uns das einfach nicht mehr leisten“ wurde oft genug wiederholt, um den marktliberalen Kapitalismus nach angelsächsischem Vorbild zu dem Gesellschaftsmodell werden zu lassen, das von der Mehrheit als alternativlos akzeptiert wird. Hier geht vor den Augen aller etwas unter, was die letzten Jahrzehnte nicht nur gesellschaftlicher Konsens war, sondern was für viele europäische Staaten die Basis des Zusammenlebens bildete.

Ein anderes Beispiel vollzieht sich auf internationalerem Niveau. Im Zuge des allgegenwärtigen Kriegs gegen den Terror werden seit Jahren Grundrechte eingeschränkt. Dafür, wie die Angst vor dem Terror instrumentalisiert wurde, um alles Mögliche zu rechtfertigen, gibt es in den letzten Jahren leider schon mehr Beispiele als man sich vorher vorstellen konnte. Die Grenzen rechtsstaatlicher Methoden werden entsprechend absurd auf Verdacht hin gedehnt, und wer hätte noch vor kurzem gedacht, daß allen Ernstes der deutsche Innenminister unter Folter erlangte Informationen aus anderen Ländern für seine Arbeit nutzen möchte. Rechtstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit sind zwei der wesentlichen Verfassungsprinzipien nicht nur der Bundesrepublik, sondern vieler westlicher Staaten und beide stehen in jüngster Zeit immer wieder zur Disposition.

Auf globalem Niveau machen die wachsende Zahl von Naturkatastrophen und der steigende Ölpreis deutlich, daß die meisten seit Jahren bekannten Szenarien von Klimawandel, Umweltzerstörung und dem Ende unserer Ressourcen nicht etwa übertriebene Schreckensvisionen waren, sondern eher vorsichtige. Wenig ist unvermeidbar, aber Vieles macht diesen Eindruck und erzeugt Fatalismus.

Für viele der großen und kleinen ökologischen und sozialen Untergänge der letzten Jahre gab es erkennbare Gründe und offensichtlich dahinter stehende Interessen. Die meisten drohenden Fluten der nächsten Jahre, ökonomische wie soziale und ökologische, sind am Horizont zu erkennen. Wir haben unsere Archenbaustelle im schauspielfrankfurt nicht errichtet, weil wir glauben, daß der totale Untergang droht. Wir sind ein Theater und wir mögen Drastik, aber wir glauben, es lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem, was bedroht sein könnte, was wir retten wollen und wie das geht. Deswegen haben wir vor allem Künstler und Wissenschaftler eingeladen, die sich mit dem Überleben auskennen. Alles Gute!
Matthias von Hartz