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05. / 06. / 07. / 08. / 09. Juni 2002

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XXX

Premiere 5. Juni 2002 22:00 Uhr Großes Haus

XXX ist eine fiktionale Show über Sexualität frei nach von De Sades Die Philosophie im Boudoir als Utopie eines von der Moral befreiten Subjekts.

Bühne: Roland Olbeter; Kostüme: Toni Allende; Video: Franc Aleu, Emmanuel Carlier; Web-Design: Cristina Casanova; Dramaturgie: Mercedes Abad


XXX ist eine fiktionale Show über Sexualität frei nach von De Sades Die Philosophie im Boudoir als Utopie eines von der Moral befreiten Subjekts.

In diesem Roman beschreibt der französische Autor minutiös die sexuelle Initiation eines jungen Mädchens durch drei zügellose Lehrmeister. Auf der einen Seite Sade, auf der anderen Seite der Blick auf die vielfältigen Spielarten der Sexualität, die uns umgibt - das ist der Grundstoff für XXX, ein neuer Streifzug von La Fura dels Baus auf dem Gebiet eines Klassikers mit dem Bestreben nach einer zeitgenössischen Darstellungsweise. Mit der 1795 entstandenen Philosophie im Boudoir dringen wir bis zu den Schreckgespenstern unseres Bewusstseins und den sexuellen Phantasien vor, die im tiefsten Inneren eines jeden von uns wurzeln. Lange vor der Geburt der Psychoanalyse zerrt das Werk de Sades die verborgensten Neigungen ans Tageslicht, befreit sie von allen moralischen Fesseln, so daß sie ungehemmt frei fließen können. XXX ist eine multimediale Lesart des radikalen Universums des Marquis de Sade, das mit Grenzzonen sexueller Phantasien, Tabus und heutiger Identität spielt. Das katalanische Theaterkollektiv La Fura dels Baus kreiert seit über zehn Jahren Theaterevents mittels einer visuellen Sprache von Text, Sound, Video und andere Bildquellen sowie Schauspielern, die mit maximalem körperlichen und sprachlichen Einsatz agieren, um eine emotionale Begegnung mit dem Publikum zu schaffen.

Zusätzliche Texte von Jorge Manrique, Oliverio Girondo und die Heilige Theresa von Avila
Musik von Alcohol Jazz, Belmonde, Big Toxic, Carlo Coupé, Danna Leese Routh, Elesbaan, Fangoria, Leando, Lucho Prósper, Mastretta, Miki Espuma, Milinko, Nawja, Roberto Merdzo, Sexy Sadie, Spansul.
Soundtrack erhältlich bei Subterfuge Records www.subterfuge.com

Textauszug aus: Donatien-Alphonse-François MARQUIS DE SADE
DIE PHILOSOPHIE IM BOUDOIR
ODER
DIE UNMORALISCHEN LEHRER (1795)
Gekürzt, dt. Übersetzung von Helga Finter

Die Philosophie im Boudoir ist eine moralphilosophische Abhandlung in sieben Dialogen/Lektionen, die de Sades machiavellische Philosophie des radikalen Egoismus der Lust und der Grausamkeit in der Gestalt der Libertins Madame St. Ange, Dolmancé und des jungen Chevalier vorträgt. Sie führen Eugenie, ein 15jähriges Mädchen, in ihre Welt – eine Utopie des von allen gesellschaftlichen und religiösen Wertvorstellungen befreiten Individuums – ein, ihre Lektionen steigern sich im Sinne der von Dolmancé aufgestellten Stufenleiter sexueller Triebbefriedigung des Libertins: die konventionelle Lust, die perverse Lust, und – als höchste Stufe – die sadistische Lust. Der fünfte Dialog ist ein Traktat, die Konzentration aller Thesen, die de Sade in der Figur des Dolmancé zum Ausdruck bringt.


Fünfter Dialog
(...)

FRANZOSEN,
NOCH EINE ANSTRENGUNG,
WENN IHR REPUBLIKANER SEIN WOLLT

Die Religion
Franzosen, Europa erwartet von euch, daß ihr es gleichermaßen von Szepter
und Weihrauchkessel befreit. Denkt daran, daß es unmöglich angeht, es von
der Tyrannei der Könige zu befreien, ohne nicht auch zugleich die Zügel des
religiösen Aberglaubens zu zerreißen. Laßt uns für alle Zeiten die Götterbilder zu Staub zermalmen: Vom Aberglauben zur Königstreue war es immer nur ein Schritt gewesen. Weder darf ein Republikaner in Zukunft auf den Knien vor einem eingebildeten Wesen noch vor einem gemeinen Hochstapler schwach werden.
Niemals wird ein freier Mensch vor den Göttern des Christentums den Rücken
krümmen. Mut und Freiheit seien jetzt seine einzigen Götter.
Franzosen, noch eine Anstrengung; da Ihr daran arbeitet, alle Vorurteile zu
zerstören, laßt keines von ihnen fortbestehen, wo doch nur ein einziges nötig ist, um alle wieder aufleben zu lassen. Der Sklave eines gekrönten
Straßenräubers mag, wenn er will, zu Füßen eines Heiligenbildes aus Teig
niederknien, ein solches Ding ist für seine Schlammseele gemacht worden; wer Königen dienen kann, soll Götter anbeten! Doch wir, Franzosen, doch wir
Patrioten, sollten wir immer noch unter so verächtlichen Zügeln demütig im
Staube kriechen? Ja, Bürger, die Religion ist unvereinbar mit dem System der Freiheit. Der Atheismus ist das einzige Gedankensystem all derer, die
vernünftig zu denken wissen.
Aber das Volk braucht die Religion, so versichert man; sie unterhält es, sie hält es im Zaum. Schön und gut! Dann gebt uns also jene, die freien Menschen geziemt. Gebt uns die Götter des Heidentums zurück. Gern werden wir Jupiter, Herkules oder Pallas Athene anbeten; aber wir wollen nichts mehr von dem märchenhaften Schöpfer eines Universums wissen, das sich selbst bewege, nichts mehr von einem Gott ohne räumliche Ausdehnung, der dennoch alles mit seiner Unermeßlichkeit erfülle, nichts mehr von einem allmächtigen Gott, der nichts ausführt, was er begehrt, nichts mehr von einem allgütigen Wesen, das nur Unzufriedene hervorbringt, nichts mehr von einem Wesen, das Freund der Ordnung sei, unter dessen Regierung jedoch alles in Unordnung ist. Der Theismus ist seinem Wesen und seiner Anlage nach der größte Todfeind der Freiheit, der wir dienen. Er paßt keineswegs zu einer republikanischen Regierung. Nein, wir wollen keinen Gott mehr,
der die Ordnung der Natur stört, der der Vater des Durcheinanders ist, der den Menschen in dem Augenblick bewegt, in dem er Greueltaten begeht, und wir verbannen ihn für alle Zeiten in die Vergessenheit, aus der der niederträchtige Robespierre ihn wieder hervorholen wollte.
Ich schlage indessen weder Blutbäder noch Ausweisungen vor. All diese
Schrecken sind meiner Seele zu ferne, um sie auch nur eine Minute in Betracht zu ziehen. Nein, mordet auf keinen Fall und verweist niemanden des Landes: Diese Abscheulichkeiten sind die Mittel der Könige oder der Ruchlosen, die sie nachahmten. Der beißende Spott Julians schadete der christlichen Religion mehr als alle Foltern Neros. Reißt die Götterbilder keinesfalls im Zorn nieder; zermalmt sie zu Staub im Spiel, und die öffentliche Meinung wird von selbst in sich zusammenfallen.
Ich kann also nicht oft genug wiederholen: Schluß mit den Göttern, Franzosen, Schluß mit den Göttern, wenn Ihr nicht wollt, daß ihre unheilvolle Macht Euch bald abermals in all die Schrecken des Despotismus stürzt. Aber nur indem Ihr sie verspottet, werdet Ihr sie vernichten. Alle Gefahren, die sie als Folge nach sich ziehen, werden sogleich in Massen wieder auftauchen, wenn Ihr sie verdrossen bekämpft und sie zu wichtig nehmt. Ich will also, daß die Menschen, die sich in irgendeinem Tempel versammeln, um nach ihrem Belieben den Ewigen anzurufen, wie Schauspieler in einem Theater betrachtet werden, bei deren Spiel jedem zu lachen erlaubt ist. Verurteilen wir sie dazu, lächerlich gemacht zu werden. Betrachtet man die Religionen nicht aus diesem Blickwinkel, werden sie bald die Ernsthaftigkeit, die sie so gewichtig macht, wieder erlangen, sie werden dann bald wieder die Meinungen schützen und, sobald man sich um die Religionen wieder streitet, wird man sich auch wieder um sie schlagen.
Ich hoffe, damit ist zu diesem Thema genügend gesagt.Gehen wir zum
Studium der Sitten über. Dieser Abschnitt ist um so so wesentlicher, als die Sitten, den zu verabschiedenden Gesetzen als Grundlage dienen werden.
Franzosen, Ihr seid zu aufgeklärt, um nicht zu erkennen, daß eine neue
Regierungsform neue Sitten erfordert. Man muß zuerst die Abscheulichkeit der Todesstrafe für immer aus der Welt schaffen, weil das Gesetz, das sich an dem Leben eines Menschen vergreift, unausführbar, ungerecht und unzulässig ist. Es ist sehr wohl so, wie ich das gleich erläutern werde, daß es unendlich viele Fälle gibt, in denen die Menschen, ohne die Natur zu kränken, von dieser gemeinsamen Mutter aller Menschen die völlige Freiheit erhalten haben, sich gegenseitig nach dem Leben zu trachten. Doch ist es unmöglich, daß das Gesetz das gleiche Privileg erhalten könnte, weil das Gesetz, selbst empfindungslos, keinen Zugang zu den Leidenschaften haben kann, die in den Menschen die grausame Tat des Mordes rechtfertigen.
Der zweite Grund für die Abschaffung der Todesstrafe ist der, daß sie das
Verbrechen noch niemals unterbunden hat, da es jeden Tag angesichts des
Schafotts begangen wird. Kurz, diese Strafe muß abgeschafft werden, da es
keine schlechtere Rechnung gibt als die, einen Menschen deswegen sterben zu
lassen, weil er einen anderen getötet hat. Denn aus diesem Procedere ergibt
sich selbstverständlich, daß es statt eines Menschen weniger mit einem Schlag zwei weniger gibt, und nur Henkern oder Dummköpfen eine solche Arithmetik vertraut sein mag.
Wie dem schließlich auch sei, die Missetaten, die wir unseren Brüdern
gegenüber begehen könnten, lassen sich demgemäß in vier Hauptgruppen
zusammenfassen: Verleumdung, Diebstahl, durch Libertinage verursachte
Vergehen und Mord. Sind all diese Handlungen, die unter der Regierung der
Monarchie als Kapitalverbrechen angesehen wurden, gleichermaßen
schwerwiegend in einem republikanischen Staat? Diese Frage werden wir nun
mit der Fackel der Philosophie erhellen.

Beginnen wir mit dem Diebstahl.
Ich wage, ohne Parteilichkeit, zu fragen, ob der Diebstahl, der einen Ausgleich der Reichtümer bewirkt, in einer Regierung, deren Ziel die Gleichheit ist, ein großes Übel ist. Ob wohl ein Gesetz gerecht ist, das dem, der nichts hat, befiehlt, den zu achten, der alles hat? Allein der Reiche kettet den Armen daran, allein der Reiche hat Interesse an dem Eid, den der Arme leistet. Ein Eid, der nicht alle Individuen, die ihn ablegen, gleichermaßen wirksam bindet, entspricht nicht dem Gesellschaftsvertrag eines freien Volkes: Er ist die Waffe des Starken gegen den Schwachen, der im Recht ist, sich gegen jenen zu erheben. Verschlimmert denn eure Ungerechtigkeit nicht, indem Ihr den, der nichts hat, bestraft, weil er gewagt hat, dem, der alles hat, etwas zu entwenden. Es kommt Euch nicht zu, das zu bestrafen, für das ihr die Ursache gewesen seid. Ich sage Euch nicht mehr, um Euch die schreckliche Grausamkeit spüren zu lassen, die eine Bestrafung von Dieben bedeutet.
Die Vergehen, die wir jetzt untersuchen müssen, bestehen aus Taten, zu denen das Libertinage Anlaß geben kann; unter ihnen zeichnen sich besonders die Prostitution, der Ehebruch, der Inzest und die Sodomie aus als solche Taten, die das, was jeder seinem Mitmenschen schuldet, verletzen.
Jetzt, da wir eine Unmenge religiöser Irrtümer erkannt haben, die uns in ihren Banden hielten, sind wir sicher, daß, wenn es überhaupt so etwas wie
Verbrechen an irgendetwas gäbe, dieses vielmehr darin bestünde, den
Neigungen, welche die Natur uns eingibt, zu widerstehen, als sie zu
bekämpfen. Und da die wollüstigen Ausschweifungen eine Folge dieser
Neigungen sind, geht es viel weniger darum, diese Leidenschaft in uns
auszulöschen, als vielmehr die Mittel zu ihrer friedvollen Befriedigung einer Regelung zu unterwerfen. Wir sollten also unsere Anstrengung darauf richten, in diesem Bereich Ordnung zu schaffen und für die nötige Sicherheit zu sorgen, damit der Bürger sich allem, was seine Leidenschaften ihm vorschreiben, hingeben kann, ohne durch irgend etwas daran gehindert zu
werden.
In den Städten werden verschiedene Orte eingerichtet werden, die gesund,
weitläufig, ordentlich möbliert und in jeder Hinsicht sicher sind; dort würden alle Geschlechter, alle Altersklassen, alle Kreaturen den Launen der Libertins angeboten, die kämen, um sich der Lust hinzugeben; und die völlige Unterordnung wird die wichtigste Verhaltensregel für alle angebotenen Individuen sein; die kleinste Weigerung wird von dem, der sie erfahren hat, sofort nach eigenem Ermessen bestraft. Dies muß ich noch erklären, es am Maßstab der republikanischen Sitten messen. Ich habe Euch überall die gleiche Logik versprochen, ich werde Wort halten.
Keine Leidenschaft bedarf der vollen Ausdehnung der Freiheit stärker als die wollüstige Ausschweifung, keine ist wahrscheinlich so despotisch; hier liebt der Mensch zu befehlen, Gehorsam zu finden, sich mit Sklaven zu umgeben, die gezwungen sind, ihn zu befriedigen: folglich wird jedesmal, wenn dem Menschen nicht das versteckte Mittel gegeben wird, das Maß Herrschsucht auszuleben, das die Natur auf den Grund seines Herzens gelegt hat, er darauf zurückfallen, sie an den Objekten, die ihn umgeben, auszulassen. Und er wird so der Regierung Unfrieden stiften. Wenn Ihr diese Gefahr vermeiden wollt, so gestattet eine freie Entfaltung der Herrschbegierden, die ihn unwillentlich ohne Unterlaß quälen; zufrieden, seine kleine Souveränität in einem Harem von Itschoglanen oder Sultaninnen, den Eure Fürsorge und sein Geld ihm zur Verfügung stellen, ausgeübt zu haben, wird er befriedigt herauskommen und keinen Wunsch mehr empfinden, eine Regierung zu stören, die ihm so entgegenkommend alle Mittel zu Befriedigung seiner Sinneslust zur Verfügung stellt.
Ich gehe noch weiter, mögen auch meine Vorstellungen noch so sehr im
Gegensatz zu unseren heutigen Gebräuchen stehen: Ich werde versuchen, Euch
zu überzeugen, daß die Prostitution von Frauen, die man gemeinhin ehrenwert
nennt, nicht gefährlicher ist als die der Männer. Und nicht nur sollten wir diese Frauen an den Ausschweifungen in den von mir geforderten Häusern
teilnehmen lassen, sondern sogar speziell für sie Häuser einrichten, in denen sie ihre Launen und die Bedürfnisse ihres Temperaments, das doch viel
heftiger ist als das unsrige, desgleichen mit allen Geschlechtern befriedigen können.

Niemand kann eine Besitzhandlung an einem freien Wesen ausüben. Es ist
ebenso ungerecht, eine Frau ausschließlich zu besitzen, wie es ungerecht ist, Sklaven zu besitzen: Alle Menschen sind frei geboren, alle sind vor dem Gesetz gleich: Verlieren wir diese Grundsätze nie aus den Augen. Es kann demnach einem Geschlecht niemals das legitime Recht zugestanden werden, sich des andern ausschließlich zu bemächtigen, und niemals kann ein
Geschlecht oder eine dieser Klassen willkürlich das eine oder andere besitzen.
Frauen im Naturzustand werden vulgivag geboren, das heißt, sie genießen die
Vorteile aller anderen Tierweibchen und gehören wie diese, ohne Ausnahme,
den Männchen. Den reinen Gesetzen der Natur zufolge kann sich auch eine
Frau nicht jemandem, der sie begehrt, unter dem Vorwand verweigern, sie
liebe einen andern; denn dieses Motiv wird zu dem einer Ausschließung, und
kein Mann darf vom Genuß einer Frau ausgeschlossen werden, von dem
Augenblick an, wo klar ist, daß sie bestimmt allen Männern gehört. Der
Besitzakt kann nur im Hinblick auf einen unbeweglichen Gegenstand oder
Ein Tier ausgeübt werden, niemals aber kann dieser auf ein Individuum, das
uns gleicht, ausgedehnt werden.
Alle Männer haben also das gleiche Genußrecht auf alle Frauen; es gibt keinen Mann, der ein allgemeines und persönliches Anrecht auf eine Frau besäße. Wenn die Gesetze, die Ihr verkündet, gerecht sind, kann also ein Mann, der in den Genuß irgendeiner Frau oder eines Mädchen kommen möchte, diese zwingen lassen, sich in einem der Häuser einzufinden, von denen ich
gesprochen habe; und dort wird sie ihm unter der Aufsicht der Matronen dieses Venustempels ausgeliefert sein, um ihm ebenso demütig wie gefügig in allem zu Willen zu sein, was seine Launen ihm eingeben mögen, wie seltsam oder von der Regel abweichend diese Launen auch sein mögen.
Aber, wird man einwenden, es gibt ein Alter, in dem die Prozeduren des
Mannes der Gesundheit eines Mädchens schaden müssen! Diese Überlegung
ist ohne jeglichen Wert. Sobald man das Besitzrecht auf den Genuß zugesteht, ist dieses Recht unabhängig von den Auswirkungen des Genusses; von diesem Augenblick an ist es gleichgültig, ob der Genuß dem Genußobjekt zum Nutzen oder Schaden gereicht. Es geht in dieser Untersuchung keineswegs darum, was das Objekt fühlen mag, das von der Natur und dem Gesetz zur augenblicklichen Befriedigung der Begierden des anderen verurteilt ist, sondern nur darum, was dem Begehrenden gefällt. Wir werden das Gleichgewicht wieder herstellen.
Ja, wir werden es wieder herstellen, das müssen wir: Die Frauen, die wir so grausam unterjocht haben, müssen wir unbestreitbar entschädigen. Wenn wir, wie getan, zustimmen, daß alle Frauen sich unserer Lust hingeben müssen, so müssen wir ihnen sicher auch erlauben, ihre Begierden ebenfalls reichlich zu befriedigen.
Ich sage also, daß die Frauen, die viel heftigere Neigungen für die Lüste der Ausschweifung erhalten haben als wir, sich ihnen soviel sie wollen, frei von allen Bindungen der Ehe und den falschen Vorurteilen der Scham sollen hingeben dürfen, so daß sie völlig wieder in den Naturzustand zurückversetzt wären. Ich möchte, daß die Gesetze ihnen erlauben, sich so vielen Männern hinzugeben, wie sie wollen; ich möchte, daß ihnen wie den Männern der Genuß aller Geschlechter und aller Teile des Körpers erlaubt wird; und unter der besonderen Bedingung, daß sie selbst sich all jenen hingeben, die sie begehren, müssen sie selbst die Freiheit haben, alle zu genießen, die sie für würdig halten, sie zu befriedigen.
Es wird also Häuser geben, die für das Libertinage der Frauen wie der Männer bestimmt sind und unter dem Schutze der Regierung stehen: dort werden ihnen alle Individuen beiderlei Geschlechts, die sie begehren können, zur Verfügung gestellt; und je häufiger sie diese Häuser aufsuchen, desto größer wird ihr Ansehen sein.
Charmantes Geschlecht, Ihr werdet frei sein; Ihr werdet wie die Männer alle
Freuden genießen können, welche die Natur Euch zur Pflicht gemacht hat. Darf der göttlichste Teil der Menschheit denn vom andern in Eisen geschlagen werden? Nein! Sprengt die Eisen, die Natur will es. Kennt keine anderen Fesseln mehr als die Eurer Neigungen, keine anderen Gesetze mehr als Eure Begierden, keine andere Moral als die der Natur: Schmachtet nicht länger unter den barbarischen Vorurteilen, die Eure Reize welken ließen und den göttlichen Elan Eurer Herzen gefangen setzten; Ihr seid frei wie wir, und eine Laufbahn von Venuskämpfen steht euch ebenso offen wie uns.
Was gerade gesagt wurde, sollte uns also gewißlich einer Untersuchung des
Ehebruchs entheben.

Ist der Inzest gefährlicher? Nein, sicher nicht; er spannt die Familienbande an und stärkt infolgedessen die Liebe der Bürger zum Vaterland; er wird uns von den ersten Gesetzen der Natur diktiert, er ist in uns angelegt, und der Genuß von Objekten, die uns gehören, erschien uns immer köstlicher als jeder andere.
Die ersten gesellschaftlichen Institutionen förderten den Inzest; man findet ihn am Ursprung aller Gesellschaften; in allen Religionen wird er geheiligt; alle Gesetze haben ihn gefördert. Durchstreifen wir das Universum, so finden wir den Inzest überall. Die Neger der Pfefferküste und Rio-Gabons prostituieren ihre Frauen und ihre eigenen Kinder; im Königreich Judas muß der älteste Sohn die Frau seines Vaters heiraten; die Völker Chiles schlafen ohne Unterschied mit ihren Schwestern und Töchtern und heiraten oft Mutter und Tochter zugleich. Kurz gesagt, ich wage zu behaupten, daß der Inzest das Gesetz einer jeden Regierung werden müßte, die sich auf die Brüderlichkeit gründet. So bleibt also wenig über ein vermeintliches Vergehen zu sagen, dessen Nichtigkeit zu sehr erwiesen ist, als daß man sich noch weiter damit belasten müßte.
Gehen wir also zur Sodomie über. Worin besteht das einzige Verbrechen, das es hier geben könnte? Sicher nicht darin, sich an diesem oder jenen Ort zu plazieren.
Seien wir also versichert, daß es ebenso einfach ist, eine Frau auf die eine wie auf die andere Art und Weise zu genießen, wie es völlig gleichgültig ist, ob man ein Mädchen oder einen Knaben genießt. Die Natur hat dem Saft, der in unseren Adern fließt, nicht wissentlich eine ziemlich große Bedeutung gegeben, um sich dann über den Weg zu erregen, auf dem wir diesen Saft fließen lassen. Durch die, in Republiken verbreitete Gewohnheit des Zusammenlebens von Männern wird dieses Laster dort immer häufiger
auftreten, aber es ist sicherlich nicht gefährlich. Plutarch spricht mit
Begeisterung vom Bataillon der Liebhaber und Geliebten; sie allein
verteidigten lange Zeit die Freiheit Griechenlands.
Ganz Amerika war bei seiner Entdeckung von Leuten dieser Geschmacksrichtung bevölkert. In Lousiana, bei den Illinois, prostituierten sich als Frauen gekleidete Indianer wie Kurtisanen. Die Neger von Benguela halten öffentlich Männer aus; fast alle Harems Algiers sind heute nurmehr mit
Knaben bevölkert. In Theben ließ man es nicht dabei bewenden, die
Knabenliebe zu dulden, man machte sie zur Pflicht.
Wir wissen, in welchem Maße sie in Rom vorherrschte: Dort befanden sich
öffentliche Orte, wo Knaben sich in Mädchenkleidung prostituierten und junge Mädchen in Knabenkleidung. Martial, Catull, Tibull, Horaz und Vergil
... Plutarch sagt, die Frauen dürften an der Liebe der Männer in keiner Weise beteiligt sein. Die Päderastie war schon immer das Laster von Kriegsvölkern. Von Cäsar erfahren wir, daß die Gallier ihr in außergewöhnlichem Maße gefrönt hatten. Sextus Empiricus versichert uns, daß diese Phantasie bei den Persern vorgeschrieben war. Schließlich boten die eifersüchtigen und verachteten Frauen ihren Gatten an, ihnen den gleichen Dienst wie die Knaben zu erweisen; einige versuchten es, doch kehrten sie bald zu ihren alten Gewohnheiten zurück, als sie merkten, daß die Illusion nicht stark genug war.
Die Frauen entschädigten sich untereinander. Diese Phantasie hat zweifellos
nicht mehr Nachteile als die andere, weil ihre Folge nur die Weigerung zu
zeugen ist.
Kurz, in all diesen Manien liegt keinerlei Gefahr: Selbst wenn sie sie noch
weiter fortrissen, wenn man so weit ginge, Ungeheuer und Tiere zu streicheln, wie es uns das Beispiel mehrerer Völker lehrt, brächten all diese Schrullen nicht den geringsten Nachteil mit sich, und wir müssen von unseren Gesetzgebern genügend Weisheit und Umsicht erwarten, um sicher zu sein, daß sie kein Gesetz zur Unterdrückung dieser Miseren erlassen werden.
Bleibt uns nur noch, den Mord zu untersuchen. Von allen Anschlägen, die ein
Mensch auf seinen Mitmenschen machen kann, ist der Mord, ohne
Widerspruch, der grausamste von allen.
Nichtsdestoweniger drängen sich hier mehrere Fragen auf, einmal abgesehen
von dem Unrecht, das durch den Mord an dem verübt wird, der sein Opfer
wird.
1. Ist diese Tat, allein in Anbetracht der Naturgesetze, tatsächlich
kriminell?
2. Ist sie es in Bezug auf die Gesetze der Politik?
3. Schadet sie der Gesellschaft?
4. Wie ist sie unter einer republikanischen Regierung einzuschätzen?
Wir werden jede dieser Fragen getrennt untersuchen:
Ist der Mord in den Augen der Natur ein Verbrechen? So lautet die erste
gestellte Frage.
Was ist der Mensch, und welcher Unterschied besteht zwischen ihm und den
anderen Pflanzen, zwischen ihm und allen anderen Lebewesen der Natur?
Sicher keiner. Wie sie, zufällig auf diese Erdkugel gesetzt, ist er, wie sie, geboren worden; wie sie vermehrt er sich, wächst und zerfällt er, wie sie erreicht er das Alter und wie sie fällt er ins Nichts. Wenn die Annäherungen so genau werden, daß es dem prüfenden Auge des Philosophen unmöglich wird, irgendeine Ungleichheit wahrzunehmen, mag es ein ebenso großes wie ein ebenso kleines Übel sein, ein Tier wie einen Menschen zu töten. Was wir das Lebensende eines Tieres nennen, ist kein tatsächliches Ende mehr, sondern eine einfache Transmutation, deren Grundlage die fortwährende Bewegung ist, das wahre Wesen der Materie. Und sie gilt allen modernen Philosophen als eines ihrer ersten Gesetze. Der Tod ist also, nach diesen unwiderlegbaren Prinzipien, nichts anderes als eine Veränderung der Form, nichts als ein unmerklicher Übergang von einer Existenzform in eine andere, und das ist genau das, was Pythagoras Metempsychose, Seelenwanderung, nennt.
Wenn wir uns der Zerstörung hingeben, bewirken wir allein eine Variation in den Formen, die jedoch das Leben nicht auslöschen kann. Weit davon entfernt der Natur zu schaden, ist die Tat, die Ihr begeht, wenn Ihr die Formen dieser verschiedenen Schöpfungswerke variiert, im Gegenteil für sie vorteilhaft, denn Ihr liefert der Natur durch diese Tat den Grundstoff für neue Konstruktionen: eine Arbeit, die für sie undurchführbar wäre, wenn Ihr nicht zerstörtet.
Ist Mord aber ein Verbrechen der Politik? Wagen wir doch, uns im Gegenteil
einzugestehen, daß er leider nur eine der größten Triebfedern der Politik ist. Ist Rom nicht kraft von Morden zur Herrin der Welt geworden? Ist Frankreich nicht kraft von Morden heute frei?
Welche menschliche Wissenschaft hat es mehr nötig sich auf den Mord zu
stützen als die, die nur zu täuschen sucht, deren einziges Ziel darin besteht, eine Nation auf Kosten einer andern auszudehnen? Was sind Kriege, die einzigen Früchte solcher barbarischen Politik, denn anderes als die Mittel, von denen sie sich nährt, durch die sie sich stärkt, auf die sie sich stützt? Und was ist der Krieg, wenn nicht die Wissenschaft von der Zerstörung? Seltsame Blindheit des Menschen, der öffentlich die Kunst des Tötens lehrt und den, der darin am meisten Erfolg hat, belohnt, aber den bestraft, der sich aus einem privaten Grunde seines Feindes entledigt hat! Ist es nicht an der Zeit, diese barbarischen Irrtümer zu überprüfen?
Schließlich, ist Mord ein Verbrechen an der Gesellschaft? Wer könnte jemals
vernünftigerweise sich dies vorstellen? Ach! Was macht es dieser an
Mitgliederzahl reichen Gesellschaft denn schon aus, ob sie ein Mitglied mehr oder weniger hat? Werden ihre Gesetze, ihre Sitten und Bräuche dadurch
verdorben? Wird sich jemals der Tod eines Individuums auf die große Masse
auswirken? Und würde nach dem Verlust der größten Schlacht, was sage ich,
nach der Auslöschung der halben oder meinethalben der ganzen Menschheit
die kleine Anzahl von Überlebenden den geringsten materiellen Nachteil
spüren? Ach! Leider, nein. Fahren wir also fort.

Als was ist der Mord in einem kriegerischen und republikanischen Staate
anzusehen?
Es wäre sicher äußerst gefährlich, diese Tat zu behindern oder zu bestrafen...
In Sparta, in Lakedaimon, ging man auf die Jagd von Heloten wie wir in
Frankreich auf die Jagd von Rebhühnern gehen. In Mindanao wird der, der
einen Mord begehen will, in den Rang des Helden erhoben: Er wird sogleich
mit einem Turban ausgezeichnet; bei den Caraguos muß man sieben Menschen
getötet haben, um die Ehrung dieser Kopfbedeckung zu erlangen. Die
spanischen Betbrüder taten dem Heiligen Jakob von Galizien das Gelübde,
zwölf Amerikaner pro Tag zu töten; im Königreich Tangut wird ein starker und kräftiger junger Mann auserwählt, dem man an bestimmten Tagen des Jahres erlaubt, alles zu töten, was ihm begegnet.
Unendlich viele Nationen dulden den öffentlichen Mord: Er ist in Genua,
Venedig, Neapel und ganz Albanien vollkommen erlaubt; in Katchao, am San
Domingo Fluß, schneiden die Mörder auf Euren Befehl und vor euren Augen
jedem Individuum, das ihr ihnen angebt, den Hals ab; die Indianer nehmen
Opium, um sich zum Morden Mut zu machen; wenn sie sich anschließend auf
die Straßen stürzen, metzeln sie alles nieder, was ihnen begegnet; englische Reisende haben diese Manie in Batavia vorgefunden. Welches Volk war größer und zugleich grausamer als das der Römer, und welche Nation hat ihren Glanz und ihre Freiheit länger bewahrt? Gladiatorenschauspiele stärkten seinen Mut. Zwölf- oder fünfzehnhundert Opfer füllten täglich die Arena des Zirkus, und die Frauen, grausamer noch als die Männer, wagten zu fordern, daß die Sterbenden mit Anmut fielen und noch in den Todeszuckungen sich in einem günstigen Licht zeichneten..
Überall schließlich glaubte man mit Recht, der Mörder, das heißt, ein Mensch, der seine Empfindungsfähigkeit so weit erstickte, daß er seinesgleichen tötete und der öffentlichen oder privaten Rache trotzte, überall, sage ich, glaubte man, ein solcher Mann könne nur sehr gefährlich und infolgedessen sehr wertvoll für eine kriegerische oder republikanische Regierung sein.
Es ist Zeit zusammenzufassen. Wenn ich hier also die Nichtigkeit, ja die Gleichgültigkeit einer Unzahl von Taten dargelegt habe, die unsere Vorfahren, von einer falschen Religion verführt, als Verbrechen ansah, reduziere ich unsere Arbeit auf recht wenig:
Laßt uns nur wenige Gesetze machen, aber es sollen gute Gesetze sein
Das einzige Ziel der Gesetze, die wir erlassen, sei die Ruhe des Bürgers, sein Glück und der Glanz der Republik. Aber Franzosen, ich möchte nicht, daß Euch, nachdem Ihr den Feind von eurem Boden verjagt habt, die Begierde, Eure Prinzipien zu verbreiten, weitertreibt. Erinnert Euch des Unglückserfolgs der Kreuzzüge. Glaubt mir: Wenn der Feind wieder auf der anderen Seite des Rheins steht, dann schützt Eure Grenzen und bleibt zu Haus; belebt Euren Handel, flößt Euren Manufakturen wieder Kraft ein, laßt Eure Künste wieder erblühen und fördert die Landwirtschaft. Laßt die Throne Europas von selbst zusammenbrechen: Euer Beispiel, Euer Wohlstand wird sie bald umwerfen, ohne daß ihr Euch darum zu kümmern brauchtet. Wenn Ihr, um der eitlen Ehre willen, Eure Prinzipien in die Ferne zu tragen, von der Sorge um Euere eigene Glückseligkeit ablaßt, wird der Despotismus, der nur eingeschlummert ist, wieder aufleben, werden innere Zwistigkeiten Euch zerreißen, werdet Ihr Eure Finanzen verbrauchen, und all das, um wieder die Eisen zu küssen, die Euch die Tyrannen aufzwingen werden, die Euch während Eurer Abwesenheit wieder unterjocht haben. Alles, was Ihr begehrt, kann sich erfüllen, ohne daß Ihr den heimischen Herd zu verlassen braucht. Mögen die anderen Völker Euch glücklich sehen, und sie werden auf derselben, von Euch vorgezeichneten Bahn ihrem Glück entgegeneilen.

(...)