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Termine Chagallsaal:

16. / 17. November 2007

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Hinter- und Beweggründe für die 35. Römerberggespräche

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35. Römerberggespräche: Die Berliner Republik - Eine Betriebsbesichtigung

Hinter- und Beweggründe für die 35. Römerberggespräche


1990 war das Ende der Teilung und der Nachkriegsepoche unwiderruflich. Die größere Bundesrepublik, der die DDR beigetreten war, schloß mit dem (von dem Publizisten Johan-nes Gross in die Öffentlichkeit gebrachten) Begriff „Berliner Republik“ an die demokratische Substanz der Weimarer und der Bonner Republik an. An ihrer Gründung war ein von keiner Skepsis gebremster Optimismus beteiligt. Als der Bundestag im Juni 1991 beschloß, die wichtigsten Verfassungsorgane und Großteile ihrer Verwaltung in die ehemalige Hauptstadt zu verlegen, erschien jeder Aufbruch möglich und wahrscheinlich. Doch der Prozeß der Selbstfindung in den ungewohnten Verhältnissen und das historische Geschenk der Wiedervereinigung haben zu neuen Verwicklungen, unvorhergesehenen Rückschritten, inneren Verfremdungen geführt. Alles wirkt viel komplizierter und widersprüchlicher als ursprünglich gedacht. Gegenwärtig scheint die Berliner Republik von globalen politischen Zwängen und von der Kompromißnot der Großen Koalition umstellt. Es fehlt ihr an Souveränität zur Selbstkritik ihrer Entwicklung in mehr als anderthalb Jahrzehnten und zur utopischen Vor-ausschau jenseits der demographischen Hochrechnung.

Einige streitbare Geister finden bei den diesjährigen Römerberggesprächen zu-sammen, um beides zu versuchen: einen Blick zurück auf die Erfolge und Fehl-leistungen seit der Wende, einen anderen nach vorn auf die Zukunft unseres Staates und unserer Gesellschaft. Historiker und Soziologen, Publizisten, Polito-logen, Kulturwissenschaftler und Schriftsteller diskutieren die Lage.

Der erste Tag – Freitag, der 16. November, ist der Retrospektive gewidmet. Mit dem Ende der DDR sollte eine ungeteilte Nation entstehen. Aber mit der inneren Erblast mehrerer Generationen hat – wenigstens in Westdeutschland - nach der Wende kaum jemand gerechnet. Egon Bahr, der grand old man der Deutsch-land- und Entspannungspolitik, der Anfang der siebziger Jahre den deutschen Grundlagenvertrag verhandelt hat, blickt noch einmal zurück auf den Prozeß, der Ende 1989 in Gang gekommen ist: auf außenpolitische Glücksfälle und innenpo-litische Kalamitäten.

Die BRD und die DDR haben aus den Verbrechen des Nationalsozialismus Leh-ren für ihre jeweilige Politik ziehen wollen – auf jeweils andere Weise. Die DDR hat den Widerstand im Dritten Reich und in den Konzentrationslagern zu ihrem Gründungsmythologem gemacht. Die BRD wollte alles dafür tun, dass sich die Massen- und Völkermorde nie mehr wiederholen können. Mit der DDR ist jedoch auch ihr erklärter Antifaschismus zu einer fragwürdigen Propagandaformel ge-worden und im Westen mehren sich die Schlußstrichdebatten. Der amerikani-sche Historiker Jeffrey Herf, der sich in zahlreichen Beiträgen vor allem mit der Geistesgeschichte in Deutschland seit der Weimarer Republik auseinanderge-setzt hat, wagt einen Blick von außen auf die Konditionen des geteilten Ge-dächtnisses. Ihm folgt sein deutscher Kollege Ulrich Herbert; er spricht über Zu-kunft und Grenzen von Geschichtspolitik.

Die Osterweiterung der Europäischen Union fand in den Bundesregierungen gleich welcher politischer Couleur die treibende Kraft. Verloren damit die Atlanti-ker entscheidend an Boden und wird das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten noch angespannter? Die vergangene polnische Regierung unter den Brüdern Kaczinski hat demgegenüber die Ängste vor einer deutschen Hegemonie in Eu-ropa geschürt. Der polnische Publizist Adam Krzeminski, hier wie dort wegen seiner brillanten Beiträge ausgezeichnet, deutet die frostige Fremdheit, die sich ins deutschpolnische Verhältnis immer wieder einschleicht, und sondiert Deutschlands zukünftige Rolle für die osteuropäischen Länder.

Am zweiten Tag, Samstag, dem 17. November, widmen sich die 35. Frankfurter Römerberggespräche vor allem zukünftigen Entwicklungen unseres Landes - jenseits der demographischen Prognosen, der politischen Spekulation und der Kulturkritik mit geschichtlichen Versatzstücken. Es geht um Fragen, die entste-hen aus dem Wissen um den rapiden gesellschaftlichen Wandel, der nicht mehr aufgehalten wird von der starren Ordnung zweier Blöcke im Kalten Krieg. Geht diese Veränderungen wie eine Folge von Naturereignissen über uns hinweg o-der sind sie mit politischen Regeln beherrschbar? Und wie sehen die Instrumen-tarien aus, derer wir uns bedienen können? Die Frankfurter Philosophin Rahel Jaeggi beschreibt den Zustand des Öffentlichen: den Verbrauch des Privaten, die Verwahrlosung städtischer Räume, die Verinnerung der Entfremdung.

In den letzten zwei Jahrzehnten des Kalten Kriegs war eine Formel im politi-schen Umlauf: Deutschland als Kulturnation. Sie beschwor jenseits der Teilung des Landes die gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen, berief sich auf die Prägekraft von kulturellen Werten, suggerierte einen symbolischen Großraum. Die Berliner Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel erörtert die Per-spektiven der Kulturnation im Prozess der Europäisierung.

Deutschland ist den Gesetzen nach ein Einwanderungsland. Aber es gibt keine gemeinsa-me Orientierung über das, was mit den Fremden hierzulande geschehen soll. Die simpelste Alternative lautet: Integration oder Multikulti. Man kann auch sagen: Unterwerfung unter eine deutsche Leikultur oder eine relativische Beliebigkeit des Nebeneinander, die Konflikte schürt. Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Die Schwierigkeiten, brauchbare Antwor-ten zu finden, beschreibt Navid Kermani, Orientalist und welterfahrener Schriftsteller.

Die Hemmungen, die Privatsphäre öffentlich zur Schau zu stellen, schwinden zusehends. Immer größere Felder der Politik werden im Fernsehen vertalkt, ganz zu schweigen von den banalen Sensationen der Stars und jener, die sich anmaßen, welche zu sein. Die Erregung übernimmt die Rolle des Konflikts. Über die Verbreiterung des Boulevards im Journalismus diskutieren drei Experten: der Medienexperte Stefan Niggemeyer (BILDblog) und die beiden Hauptstadt-Journalisten Günter Bannas (FAZ) und Richard Meng (FR).

Zum Abschluss der Römerberggespräche geht es um den Sozialstaat, in dem der stürmische Wandel besonders spürbar wird. Die Kontroversen über die Halt-barkeit eines gesellschaftlichen Modells, in dem Solidarität, gegenseitige Hilfe und soziales Handeln als Werte verbürgt sind, werden die zukünftigen Wahl-kämpfe bestimmen. Stephan Leibfried, Politologe und Soziologe in Bremen, fragt nach, ob wir uns vom „(Sozial-)Staat“ verabschieden müssen. Seine Thesen dis-kutieren Ernst-Wilhelm Händler, der viele Jahre einen mittelständischen Betrieb geleitet hat und mit fulminanten Romanen hervorgetreten ist, und Hans-Jürgen Urban, Cheftheoretiker der IG Metall.

Die Moderation haben übernommen: Alf Mentzer, Literaturredakteur des Hessi-schen Rundfunks, und Matthias Arning, Lokalchef der Frankfurter Rundschau.
Die diesjährigen Frankfurter Römerberggespräche knüpfen an die große Traditi-on der Diskussionskultur und Bürgeraussprache in Frankfurt an. Sie sind ihr viel-leicht wirksamstes, jedenfalls ihr haltbarstes Instrument. Sie stehen – bei freiem Eintritt – allen Interessierten offen und finden im Chagallsaal des Schauspiels Frankfurt statt. Freitag, den 16. November ab 17.00 Uhr und Samstag, den 18. 11. ab 10.00 Uhr.

Römerberggespräche e.V.
Vorsitzender: Wilfried E. Schoeller
Koordination: Anneliese Ruppel

Rückfragen unter: Tel. 069 / 72 10 05
email:ruppel@roemerberggespraeche-ffm.de


www.roemerberggespraeche-ffm.de