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Spielplan


Termine Großes Haus:

14. / 24. Februar 2002
14. / 15. März 2002
05. / 19. / 20. April 2002
03. Mai 2002

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Adam Geist


Regie: Sandra Strunz; Bühne: Annette Kurz; Kostüme: Veronika Seifert; Musik: Theo Nabicht


Notizen zum Stück

Vorname Adam, Familienname Geist: Der Vorname erinnert an das Paradies und die Vertreibung aus dem Paradies, der Nachname an ein Leben nach dem Tod. Der Vater ist unbekannt, also nicht vorhanden, die geliebte Mutter stirbt am Anfang, der Sohn am Ende des Stückes. Dazwischen sterben auch alle, die Adam hätte lieben können. Was ist das, dieses Etwas zwischen Geburt und Tod? Adam ist ein Mensch voller Leben und doch lebendig tot. Ein Mensch, der keine Familie, keine Freunde hat, entwurzelt, amoralisch, orientierungslos, ein Mensch auf der Suche. Ein Leben als Untoter in einem zukunftsgerüttelten Deutschland. Adam Geist ist der Prototyp des ersten und des letzten Menschen zugleich.

Auf die Rolle als Hilfsschüler und Tischlerlehrling will Adam sich nicht reduzieren lassen. Da ihm niemand etwas von der schweren Krankheit seiner Mutter gesagt hat, da man ihn nicht zu der Sterbenden nachhause lassen wollte, bricht er mit der Familie und verläßt die Arbeitsstelle.
Adam wird Dealer, legt sich aber sogleich mit der ganzen Szene an, da er sich nicht an die Spielregeln hält. Er versteht die Verabredungen nicht, übersieht die Fallen; Verstellung und List sind ihm fremd. Er reagiert immer direkt.
Auf dem Friedhof, am Grab der Mutter, trifft er ein Mädchen, erprobt die Liebe, das Mädchen stirbt an seiner ungestümen Gewalt. So wird sie ein Geist, eine Untote, ein Engel. Immer wieder begegnet Adam ihrem Schatten auf seinen nächsten Stationen:
Er kassiert Prügel, weil er in der Dealerszene noch Schulden hat. Ein Stadt- und Feuer-Indianer springt ihm zur Seite und nimmt ihn mit zur Feuerwehr. Dort wird Adam endlich ein Held. Er hat Menschenleben gerettet. Aber sein neuer Freund, der Indianer stirbt kurz darauf, möglicherweise an einer Überdosis Drogen. Adam rächt den Tod des Freundes mit einem Kettensägenmassaker an den Giftlern. Trauer, Trotz und Wut ballen sich immer mehr zu Gewalt zusammen.
Adam flüchtet zur Fremdenlegion, kehrt zurück und wird mit dem neuen Rechtsradikalismus zuhause konfrontiert, er geht freiwillig in den Balkan, erschießt dort einen neuen Freund, Erich, als dieser einen alten Mann und ein Kind unnötig quält, dann kehrt er wiederum zurück nach Hause, sucht Zuflucht beim Glauben, findet ihn nicht und beschließt aus dem Leben zu gehen.
Dealer, Feuerwehrleute, Giftler, Legionäre, Neonazis, Söldner: Lauter Männergruppen (Chöre) und ebenso viele mögliche Identitäten. Jeder könnte genauso gut der eine wie der andere sein. Das spielt in der Gruppe an und für sich keine Rolle. Jede Formation bietet eine neue Möglichkeit, sich in das System der Gesellschaft zu integrieren. Das Streben nach Zugehörigkeit, nicht länger Ausgestoßen-, Ausgeschlossen-Sein, das ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich fast alle Handlungen bringen lassen. Der Chor wird zusammengehalten von ständig wechselnden Anführern, von gemeinsamen Riten, vom gemeinsamen Konsum einer Droge (E. Schleef). Wer die Droge verrät, wird bestraft. Adam kann aber nicht strategisch handeln, kann sein Gerechtigkeitsgefühl nicht überwinden. Er scheitert an den Männergruppen und wendet sich den Individuen, den Außenseitern zu: Der heißgeliebten, leider aber schon toten Mutter, dem begehrten, aber ebenfalls schon toten Mädchen, dem Indianer: Der Indianer verkörpert ein anderes Modell von Männlichkeit als das „heroische“, das ihm in den Gruppen begegnet: auf keinen Führer hin orientiert, zart und stark, empfindsam, fremd und eigen, ein Freund. Wo andere nur schießen, kuschen oder kommandieren, ist er „der Mann, der die Grillen singen läßt.“ Das verbindet ihn mit Adams Mutter, die Stimmen hörte und zur Zither sang. Der Tod des Indianers ist nach dem Tod der Mutter und des Mädchens die dritte Katastrophe in Adams Leben. Adams Tragödie liegt letzten Endes darin, daß sich keiner für den anderen verantwortlich fühlt, jeder nur für sich denkt und handelt. Adam Geist ist amoralisch, hart, liebenswert, gnadenlos und zärtlich in einem. Er ist eine Figur, die immer und immer wieder Fragen stellt und keine Antworten erhält.
Adam ist ein moderner Woyzeck, dem übel mitgespielt wird, der aber nicht einfach als Identifikationsfigur, noch als bemitleidenswertes Opfer funktioniert. Grausamkeit, Ignoranz und Bösartigkeit trifft er in der Welt an, und Brutalität gibt er ihr zurück. Er nimmt die Welt für das, wie sie scheint, zwischen Schauen und Erkennen, zwischen Küssen und Töten macht er keinen Unterschied. „Kein Engel, aber auch kein Killer“, dieses Motto von John Updike (Rabbit at Rest) hat die Autorin dem Theaterstück vorangestellt.
Die Autorin Dea Loher enthält sich darüber hinaus jedes sympathisierenden, moralisierenden gesellschaftlichen Kommentars und auch des allgemeinen Jammers und Weltschmerzes, den man sonst so oft in der moderner Literatur finden kann. Sie beschreibt mit erstaunlicher Wucht, Knappheit und Härte die unübersichtlich, widersprüchlich angehäufte, und damit geschichtete Gegenwart und die Schwierigkeiten des Einzelnen, sich darin zu orientieren, sich in permanenter Überforderung zurechtzufinden.
Dea Lohers Schreiben ist ein Versuch des Sich-Wehrens gegen die immer größer werdende Einsamkeit.

Jens Groß



Dea Loher
Geboren 1964 in Traunstein. Philosophie/Germanistikstudium in München und Studium „Szenisches Schreiben“ an der Hochschule der Künste Berlin. Stücke: „Olgas Raum“, „Tätowierung“ (1992), Leviathan (1993), „Fremdes Haus“(1995), „Adam Geist“ (1997), „Fremdes Haus“, „Medea Manhatten“, „Blaubart - Hoffnung der Frauen“ (1998), „Klaras Verhältnisse“ (1999), „Berliner Geschichte“ (2000), „Der Dritte Sektor“ (2001). Auszeichnungen: 1997 Jakob Michael Reinhold Lenz-Preis der Stadt Jena für „Adam Geist“. 1991 Dramatikerpreis der Hamburger Volksbühne und 1993 Playwrights Award des Londoner Royal Court Theatre für „Olgas Raum“; 1993 Goethepreis der Mühlheimer Theatertage für „Tätowierung“; 1993 Preis der Frankfurter Autorenstiftung; 1993 und 1994 Wahl zur Nachwuchsdramatikerin in „Theater heute“; 1995 Fördergabe des Schiller Gedächtnispreises von Baden-Würtemberg“; 1998 Gerrit-Engelke-Preis der Stadt Hannover.

Sandra Strunz / Regie
Geboren 1968 in Hannover. 1988-1991 Studium der Kulturpädagogik an der Universität Hildesheim, 1991 – 1993 Schauspiel- und Regieausbildung an der Spielstätte Ulm, 1993 – 1997 Regiestudium am Institut für Theater, Musiktheater und Film der Universität Hamburg. Seit 1997 freie Regisseurin. Regiearbeiten: „Meine erste Frau hieß Zwieback“, 1997; GLAUSER“, 1998, eingeladen zum Regiewettbewerb der Wiener Festwochen, Spring fire Oldenburg, Impulse-Festival 1998; „Lucas, Ich und Mich“, 1999; „Parzival“, 2000, eingeladen zum Impulse-Festival 2000 (alle: Kampnagel Hamburg); „Frost“, Luzerner Theater 1999; „Kalkwerk“, Schauspiel Stuttgart 2001; „Die Tanzhalle. Ansichten einer Ballnacht“, Kampnagel Hamburg / Schauspiel Hannover 2001; „Die Frau vom Meer“, Schauspielhaus Hamburg 2001. Gertrud-Eysoldt-Preis der Wilhelm Ringelband-Stiftung, Bensheim für „Frost“.

Annette Kurz / Bühne
Geboren 1967 in Hamburg. 1988 – 1992 Studium der Bildenden Kunst in Paris, 1992 Bühnenbildstudium am Théatre Nationale de Strasbourg. 1995 – 1997 Bühnenbildassistentin am Deutschen Schauspielhaus, Hamburg. Seit 1998 als freie Bühnenbildnerin tätig. Sie entwarf für Sandra Strunz die Bühnen zu „Lucas ich und Mich“, „Frost“, „Parzival“, „Kalkwerk“, „Die Tanzhalle“. Weitere Arbeiten u.a. mit Jasper Brandis und Luk Perceval in Deutschland, Frankreich und Belgien.

Veronika Seifert / Kostüme
Geboren 1971. 1993 –1997 Bühnenbild + und Kostümdesign - Studium in Hamburg. 2000/2001 DAAD Stipendium für Freie Kunst, MA in Fine Arts bei Prof. J. Thompson, London. Seit 1997 arbeitet Veronika Seifert als freie Künstlerin und Kostümbildnerin für Theater und Film. Sie entwarf u.a. die Kostümbilder zu den Stücken „Glauser“, „Lucas, Ich und Mich“, „Parzival“, „Frost“, „Die Tanzhalle“, „Die Frau vom Meer“ von Sandra Strunz. Mehrere Filmausstattungen und Ausstellungen u.a. in Hamburg, London, Luzern und zu den Wiener Festwochen.

Theo Nabicht / Musik
Geboren 1963 in Ebersbach. 1983 - 1987 Musikstudium an der Berliner Musikhochschule "Hanns Eisler" (Klavier, Saxophon, Flöte). 1995 - 1997 Baßklarinettenstudium (Meisterklasse) am Conservatoire de Strasbourg. Theo Nabicht hat u.a. zusammengespielt mit Bert Wrede, dem Orchester "Vielharmonie", "BakaMutz" quartett, "Kammerensemble Neue Musik Berlin", Ta Lam 10, Klarinettentrio „Ullmann, Kupke, Nabicht“ und Klangforum Wien. Diverse Plattenveröffentlichungen und Teilnahme an internationalen (Jazz-) Festivals. Kompositionen für Fernseh- und Theaterproduktionen: "Die Wege des Franz Fühmann" (ORB); "Clockwork orange", “Die Frau vom Meer“, "Parzival", “Die Tanzhalle“ (Regie: Sandra Strunz); "Volksfeind", “Die Nibelungen” (Regie Lars-Ole Walburg), Theater Basel; „Dantons Tod“, Kammerspiele München u.a.






Sandra Strunz

von Elisabeth Schweeger

Theater als bürgerliche Institution ist der letzte Ort in unserer heutigen Gesellschaft, der den Menschen als souveränes Subjekt versteht und ihn als solches sein lässt. Es ist auch der letzte Ort, wo Gefühl - ein verpöntes Wort im 21. Jh. zur Expression kommt. Es ist der letzte öffentliche Ort, der die Möglichkeit bietet, den Menschen ernst zu nehmen. Es ist der letzte Ort, der darauf hinweisen kann, dass nicht alles nach perfekten Maschinen abzulaufen hat, das der Mensch zerbrechlich, nicht kalkulierbar ist, ver-rückt ist, nicht angepasst. Das moderne Theater formuliert die Ambivalenzen des Lebens, in denen der Mensch inkonsequent ist.
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In einer Zeit, in der Kulturlosigkeit den Alltag prägt, ist Theater ein Mittel, den Menschen aus seiner „coolness“ – eine geforderte Haltung unserer Gesellschaft, die ausschliesslich dem marktwirtschaftlichen Maximen verpflichtet ist - herauszuholen, es ist kein Mittel der Repräsentation, sondern des Erlebens beunruhigender Zustände und verzwickter Situationen.
Strunz arbeitet hartnäckig gegen die Reduzierung des Theaters auf ein Klischee: Das Klischee nämlich, Theater nur als schicken Ort einer Oberflächen-Eventkultur und als Abbildung einer sogenannten Realität zu bedienen. Das Theater ist ein lebendiger Organismus, der im Heute steht und heutig sein muß.
Theater kann nicht ausschließlich Aufbewahrungsort tradierter Literatur sein, sondern muß für die Fortschreibung von Literatur garantieren und neue Sichtweisen auf das Überlieferte wagen.
Umso schwieriger fällt dieser Umgang mit diesem Medium, als es als Institution von einer Gesellschaft gegründet worden ist, die sich über diese Institution eine Identität geschaffen hat.
Als identitätsbildendes Institut hat es sein Bedeutung jedoch verloren, da diese Schicht – nämlich das klassische Bürgertum - im Verschwinden ist. Das Theater befindet sich in einer komplizierten Umbruchsituation, zwischen Tradition und Moderne in einem veränderten gesellschaftlichen Kontext und muß für sich eine andere Definition finden, will es überleben.


Sandra Strunz glaubt an das Medium Theater.
Sie will Menschen- Geschichten erzählen. Der Mensch ist Mittelpunkt, aber als ein Zerrissener zwischen vielen Welten. Ein sich aufbäumendes Wesen zwischen Raserei und Stillstand.
Ein anrührendes Etwas.
Sie möchte anrühren, in Bewegung bringen, Aufregung erzeugen, wie sie selbst aufgeregt auch in ein Theater geht.
Das Eigen-Erlebnis ist dabei der zentrale Moment. Der Mensch ist ihr Material, mit dem sie umgeht, das sie umtreibt.
Im virtuellen Zeitalter der Information setzt Sandra Strunz auf das Kapital Mensch.
Sie spürt die Ungereimtheiten auf, versetzt ihre Figuren in poetische Zusammenhänge, traut ihnen Gefühl und Verzweiflung zu. Sie geht in Tiefen hinab und schafft ungewöhnliche Bilderwelten und fördert damit eine Zärtlichkeit dem Menschen gegenüber zutage, die den Zuschauer in seinen Gefühlen treffen kann.
Es geht um diese Anrührung, die heute keiner mehr anspricht, geschweige denn nur denkt.
Zulassen, verzweifelt zu sein, zulassen, glücklich zu sein, zulassen, einsam zu sein. Die zärtliche Verletzbarkeit, von der keiner wagt zu sprechen, da alle nur noch funktionieren müssen, ist die Stärke in Sandra Strunz Poetik.
Übrig bleibt ein Trost – der Mensch in seiner Armseligkeit ist ein großes wunderliches Etwas, dass man zärtlich umfassen und bestaunen kann.

Da kommt kein Fernsehrealismus auf. Das kommt die Wunde zutage, die uns plagt.
Das Theater für sie hat damit antike, fast archaische Züge. Es ist dabei nie das große Drama, sondern das kleine Drama, das verschütt gegangen ist, das sie fasziniert.
Sandra Strunz gehört zu einer jungen Generation, die ihren Ort gefunden hat, in dem sie das suchen kann, was sie woanders nicht mehr findet. Menschlichkeit – Menschsein können, wo Grenzerfahrungen zu machen sind, und Selbsterfahrung vor der Anmaßung steht, alles zu wissen, alles zu können oder gar Dompteur sein zu wollen.
Ihr Art der Regie lässt daher dem Einzelnen einen grossen Freiraum. Die Improvisation spielt stets ein große Rolle. Sie begreift darin den Darsteller als souveränes, fantasievolles Subjekt, das sein eigene Form finden kann. Der Regisseur wird zum Arrangeur, der verstehen muß, was der andere ist - ein Erkennender, Vermittler und Seher.
Ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen Charakter, der bei oberflächlicher Betrachtung ein dominantes und freches Auftreten mit scharfem Blick zeigt, sucht sie im anderen ganz offensichtlich die eigene Zärtlichkeit zu ergründen und auch zuzulassen.
Sie selbst wirkt widersprüchlich, zu gleichen Teilen romantisch altmodisch und modern auf der Höhe der Zeit, und sie hat ein ungebrochenes Vertrauen, dass der Mensch das eigentlich Zentrale ist. Sie umgarnt ihn, lässt ihn hineintauchen in die absurde heutige Welt und fängt ihn wieder auf. Und damit erzählt sie das Dilemma des heutigen Menschen, aber auch seine Möglichkeiten.
Faszination Theater – Sandra Strunz ist der Gegenbeweis dafür, dass das Medium Theater ausgespielt hat.
Sie erstellt den Zauber, den Menschsein umgibt. Sie ist überzeugt, dass Theater die Möglichkeit bietet, zum einen direkt, und ohne mediale Zwischensetzungen wirken zu können - sozusagen hautnah, zum anderen aber auch Freiräume in der Wirklichkeit zu entdecken durch die Aufbrechung von gewohnten Wahrnehmungsmuster. Da begibt sie sich auf ein unsicheres Terrain – entgegen den herkömmlichen Wirkungsabsichten von Theater. Ihr Trost, den sie vermitteln möchte, liegt nicht in der Katharsis. Sie eröffnet assoziative, nicht logisch geordnete Freiräume, wo der Betrachter zur Eigenständigkeit verpflichtet wird, durch die Wahrnehmung vieler Gleichzeitigkeiten, sich und seine Umwelt selbst zu bestimmen und neu zu deuten.
Weder Film, noch Fernsehen, noch Internet ermöglichen diese radikale Nähe, die im Theater von Sandra Strunz möglich scheint.