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Die Räuber

Klaus Lüderssen: Die Entsagenden


(Bemerkungen zu der Frankfurter Aufführung von Schiller, „Die Räuber“, am 11.9.2004)


Ein Melodram mit Schiller-Einschüben. Die Texte, soweit sie vorkommen, werden mehr oder weniger ingeniös gesprochen, und die Regie ist dort einfallsreich, wo es im Original etwas hölzern und sentimental klingt, beispielsweise, wenn Daniel zum Mord an dem Grafen gedungen wird, oder den Grafen wiedererkennt. Obwohl dabei entbehrliche Montagen und erfundene Dialoge eingeführt werden, erlebt man, wie durch ganz anderes, unerwartetes Sprechen eine Szene sich vom Cliché entfernt.

Die auf der Bühne erscheinende Räuberbande besteht freilich aus Leuten, die gar nichts zu sagen haben. Bei den Schiller’schen Räubern ist das ganz anders. Nicht nur Karl Moor und Spiegelberg, auch die übrigen bis herunter zu Schufterle offenbaren ihre Interessen und Motive und bieten abgestufte Charakterstudien. Diese verschwinden bei den Frankfurtern vollständig in der Horde Ulk treibender Burschen, deren Komik gelegentlich ins Schwarze trifft: für die sich steigernden Vorhaltungen des Paters, was für eine verworfene Gesellschaft sie seien, halten sie ein ebenso gelassenes wie lautstarkes Zustimmungsritual bereit. Im Stück ist es allerdings so, daß diese den Pater allmählich verwirrende Bereitschaft, alles zuzugeben, ausschließlich von Karl Moor kommt. Der eigentliche Überredungscoup, mit dem er die Räuber bedingungslos auf seine Seite bringt, wird weggelassen. So ist es auch mit einer Reihe anderer Vorgänge, die man kennen muß, um zu verstehen, was weiter geschieht. Beispielsweise ist der Aufbruch nach Franken durch die Kosinsky-Erzählung motiviert. Sie ist aber gestrichen, so daß die plötzliche Entscheidung Karls unverständlich bleibt. Das gilt auch schon für seinen Entschluß, sich von den Räubern zum Hauptmann machen zu lassen. Keineswegs beruht dieser ja nur auf der Enttäuschung über den die Verstoßung durch den Vater vorgaukelnden Brief des Bruders. Der Brief trifft die Gruppe in einer Situation desperater und zugleich revolutionärer Anspannung. Was dann geschieht, ist der letzte Schritt in einer Entwicklung, während man in der Aufführung nicht recht erkennen kann, weshalb aus diesen seltsamen Personen nun auf einmal Verbrecher werden.

Damit ist schon der Haupteinwand gegen die Inszenierung berührt: die politischen Gründe, die Karl in diese Bande und zu seinen, den Handlungen im Stück vorausgehenden Eskapaden geführt haben, bleiben verborgen. Der große – nur durch kurze zynische Einwände Spiegelbergs unterbrochene – Monolog, mit dem Karl beginnt, „Mir ekelt vor diesem tintenklecksendem Säkulum…“ ist ein Abriß der Stimmung des Sturm und Drang gegen alles Bestehende und Unvitale, eine Attitüde, die viel zu tun hat mit dem, was man damals über das Naturrecht, seine Perversion und den französischen Materialismus zu lesen bekam. In Peter André Alts fabelhafter Schiller-Biographie (2000) ist das gründlich dargelegt. Damit wird klar, daß Karl Moor eine ernsthafte Ausgangsposition hatte, während das bei Franz nicht der Fall ist, dieser ist von vorneherein der ganz und gar verlorene Nihilist. In der Aufführung jedoch werden beide auf eine Ebene geschoben.

Die politische Ebene des Stücks ist, daß die Idee (vor allem) Karl Moors, schreiendes Unrecht – das detailreich und anschaulich beschrieben wird – durch ostentatives Übertreten der Normen des verabscheuten Systems anzuprangern, ad absurdum geführt wird. Das ist keine historisch überholte Konstellation; sie kehrt in allen Zeiten wieder, auch der moderne Terrorismus lebt von der Illusion, durch Normverletzung zu schockieren. Die Aufführung in Frankfurt übergeht das alles – offenbar unter der Devise, daß auf eine vom Unrecht überfüllte Welt die Manifestation totaler Sinnlosigkeit die angemessene Antwort sei. Das Tun und Treiben der Räuber einerseits, die Aktionen Franz’ (und auch die wenig verbindlichen, wie von einem „Untoten“ produzierten Reaktionen des alten Moor) andererseits, sollten das zum Ausdruck bringen, und das heißt vollkommene Novellierung aller denkbaren Standpunkte. Zu den Sinnlosigkeitsgebärden passen die Slapsticks – bis in zur (erfundenen) Räuberschule, neckisch im Chor ausgerufen. Diese psychedelisch-apokalyptische Koketterie wäre natürlich in den Augen der Regie, so möchte ich vorläufig vermuten, gefährlich, wenn daraus eine echte politische Aktivität hervorgehen könnte. „Der Schauspieler muß erschrecken“, sagt Minetti. Gut, aber die Regie muß sich dann sagen lassen, daß sie strukturell denselben Fehler macht wie der Räuber Moor. Denn auch ihr Gestus kann keineswegs irgend etwas an dem Unrecht der Welt ändern, sondern wird bestenfalls ridikülisiert. Schiller hat Karl Moor zur Räson gebracht. Die Frankfurter Regie hat sich aus ihrer Obsession nicht befreien können und geht daher auch mit Franz Moor glimpflich um, der seine letzten Ungeheuerlichkeiten zu den Klängen einer mild-melancholisch absteigenden Musik ausstößt; keine Versöhnung, aber vielleicht so etwas wie eine an den Rändern verdämmernde Resignation angesichts der Unbegreiflichkeit des Bösen. Bei Spiegelberg nimmt dieses freilich eine verhältnismäßig klare Gestalt an. Deshalb ist merkwürdig, daß gerade er relativ deutliche Konturen hat, fast als ob er aus einer anderen, konventionellen Inszenierung hereingeschneit wäre. Oder sollte die Dekonstruktion, deren Tradition aus dem Protest gegen die Suche des immer guten oder jedenfalls produktiven Sinnes kommt, etwas abgeschwächt werden, indem man am Ende wenigstens dem bösen Sinn eine matte Reverenz erweist?