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Alice blue

Ein Tanzstück von Wanda Golonka
/ Uraufführung
/ Premiere: 10. Oktober 2004 / Großes Haus / 19.00 Uhr

Dauer ca. 1 h

Raum: Wanda Golonka; Kostüme: Wanda Golonka; Choreografie : Wanda Golonka; Licht: Jan Walther; Darsteller: Shila H. H. Anaraki, Véronique Dubin, Rainer Frank, Nicola Gründel, David Kern, Giacomo Sacenti, Abak Safaei-Rad, Holger Stockhaus


/ Musik: Johann Sebastian Bach: Sonata für Solovioline g-Moll, a-Moll, C-Dur


Es freut mich zu wissen, daß du schläfst.

Abstand und Nähe, Staunen und Empörung, Leere und Zwischenräume. Aufprall in der Gegenwart. Wie ein Lichtstrahl doch alles verändern kann.
Schauspieler und Tänzer gehen als die Menschen, die sie sind, auf die Bühne mit ihrem Leben, ihren Erfahrungen, ihren Kenntnissen. Am Nullpunkt der Kommunikation suchen sie nach einer Ebene der Verständigung und etablieren Beziehungen. – Es wird aber immer der Betrachter sein, der diesen Menschen einen Sinn und eine Geschichte gibt. Ein stetes Staunen zwischen dem Traum, der Vorstellung und der Wirklichkeit.

„Wenn man seine fünf Finger hindurchstecken kann, ist’s ein Tor, wenn nicht eine Tür. Schließ deine Augen und schau!“ (Joyce)


GESPRÄCH zwischen
WANDA GOLONKA / SUSANNE TRAUB


17. Juni 2004

Susanne Traub: Ohne lange Umwege zu nehmen, laß uns doch gleich auf den Punkt kommen. Interessant an deinen Arbeiten, finde ich, daß du immer am Begriff vom Raum arbeitest. Mich erinnert das an Foucault, wenn er davon spricht, daß man Räume lüften muß. Denkst du, daß du mit deinen Theaterstücken Räume lüftest und dadurch neue Räume entdecken kannst?

Wanda Golonka: Ich denke schon.

Traub: Und welche Räume entdeckst du? Was interessiert dich an noch unentdeckten Räumen?

Golonka: Ich weiß nicht, warum ich jetzt gerade nach oben schaue. Es ist so, wenn ein Raum fremd ist, hat man ein „Aha-Erlebnis“. Kommt man rein, wirkt der Raum an sich. Man braucht erst mal sehr wenig. Aber je mehr man zu einem Teil des Raumes wird, in ihm lebt und arbeitet, wird er „unfremd“. Ich glaube ja, daß ein Raum weiß, daß man ihn träumt. Von einem Raum wird man immer durchleuchtet. Der Weg ist also ein umgekehrter. Es ist nicht einer, der den Raum öffnet, das stellt man sich nur vor. Es ist der Raum, der an einem arbeitet.

Traub: Was bedeutet das im Bezug auf den Raum unserer großen Bühne?

Golonka: Es ist so: Den Raum trage ich in mir. Das ist ein Teil von mir. Ich werde nie mehr ein Leben haben, ohne diesen Raum. Es ist egal, wo ich bin, ich habe den Raum da.

Traub: Wenn Du sagst, Du trägst den Raum in Dir, wie trägst Du ihn in Dir? Heißt das, Du projizierst einen inneren Raum oder bewegt der Raum innerlich in dir etwas, was Du zu nutzen versuchst, um dem Raum eine Fassung und Verfassung zu geben.

Golonka: Sowohl als auch. Es ist beides. Man trägt den Raum in sich. Es ist aber auch das, was der Raum in einem bewirkt. Das führt zu einen Zustand. Denn der Raum ist immer derselbe. Er färbt sich, er ändert sich ja nie von alleine. Es ist nur eine Täuschung der Wahrnehmung. Es dreht sich nur um die Wirkung dessen, was der Raum mit einem macht und was man damit wieder bewirken will. Es ist also immer dieses Handeln, ein Deal im Grunde. Wir kennen alle diese Momente, in denen wir genau wissen, daß etwas stimmt. So etwas ist ganz schwierig zu erklären, man kann es kaum. Wie weiß man, daß man den anderen liebt? – Indem man ihn vermissen kann, vielleicht? Man weiß es! Das ist ganz klar. Die Sache mit dem Raum, die hat nicht mal damit zu tun, was man sich wünscht. Auch nicht mit irgendeiner Vorstellung von einem Raum. Es hat aber immer mit einer Überraschung zu tun.

Traub: Sind deine Räume solche Räume, die man nicht denken kann?

Golonka: Es hat natürlich mit der inneren Suche zu tun. Und der inneren Unmöglichkeit, etwas zu formulieren. Und deswegen macht man ein Stück, um das zu formulieren.

Traub: Es ist sehr viel wesentlicher als man denkt, warum Stücke in diesem Raum stattfinden. Mir gefällt nun sehr gut, wenn Foucault vom „Raumlüften“ spricht. Wir lüften ja auch unsere Wohnräume. Ich mag dieses Bild besonders gerne im Bezug auf deine Arbeiten.

Golonka: Es ist vielleicht die Kraft eine „Rötung“ zu ertragen.

Traub: Erröten hat immer auch mit Charme zu tun.

Golonka: Man gibt jedes Mal viel von einem selbst her. Viel mehr, als man denkt. Ich glaube, es hat was mit Identität zu tun. Ich glaube, um so intimer man mit dem Raum ist bzw. sein kann, desto mehr gibt man sich preis. Und desto mehr wird man „rot“.

Traub: Und wer schämt sich? Der Raum oder Du?

Golonka: Ich weiß, die anderen erfahren es. Die Geschichte mit dem Raum ist so. Sie hat immer mit einem selbst zu tun. Sie hat auch mit dem Stück zu tun. Und nicht mit einem Dritten, mit dem Beobachter. Ich merke das daran, wie andere Leute Räume beobachten. Oder wie sie das physisch anders empfinden. Das hat viel mehr mit einem bestimmten Zustand zu tun, als mit einer Visualisierung. Obwohl man weiß, daß ein Dritter den Raum nie gleich visualisieren wird, ist es mir ein Anliegen, diese Visualisierung so nahe wie möglich an einen Zustand heran zu bringen.

Traub: Dadurch, daß ein Raum einen Zustand kriegt, muß der Beobachter eine Erfahrungen machen muß. Obwohl Du vielleicht den Raum in eine Form zwingst, zwingst Du den Leuten nicht auf, was und wie sie etwas zu sehen haben. Räume in einen Zustand zu versetzen, gibt dem Zuschauer die Freiheit Erfahrungen zu machen.

Golonka: Ich finde es nur schade, daß durch die technischen Sicherheitsmaßnahmen im Theater und den Mangel an Zeit, die Wirkung auf das Einfachste reduziert werden muß. Dadurch gibt der Zustand nach. Man kann selten etwas entwickeln. Man kann einen Raum nicht täglich intensiv für sich nutzen. Ich kenne die Erfahrung, daß Räume, die nur für einen begehbar sind, anders wirken. Das ist möglich und es ist dann selbstverständlich. Es ist schon ein Phänomen an sich, wie dieser Bühnenraum, der so viel „vergewaltigt“ wird, überleben kann.

Traub: Das bringt uns wieder zu Foucault zurück, findest Du, daß der Bühnenraum müffelt, daß man ihn lüften müßte? Es ist ja im Grunde etwas ganz Normales Räume zu lüften. Doch welche konkrete Arbeit entspräche dem Lüften?

Golonka: Ja, das Lüften ist gut! Das gefällt mir! Ich glaube, es hat mit dem Inhalt zu tun. Das ist eine Frage von Haltung.

Traub: Die Haltung und der Inhalt beinhalten den Halt! Aber welchen Inhalt meinst Du? Woran hältst Du Dich? Bei der Perfomancereihe An Antigone oder bei Antigone von Hölderlin hatten wir ein inhaltliches Gerüst, das Du auf den Raum übertragen hast. Wie war das bei India Song, das nicht im Bühnenraum, sondern im Marstall in München entstanden ist?


Golonka: Das ist eine Sache der Proportion. Vom Marstall zu diesem Raum ist kein Verlust, es ist nur ein anderer Raum mit einer anderen Qualität und anderen Atmosphäre. Wenn aber die Proportionen eines Raumes stimmen, stimmt es eben in sich. Ich habe festgestellt, wenn ich an einem Stück arbeite, daß ich etwas anderes sehe als das, was die anderen sehen. Ich sehe nie den reellen Ort. Also ich sehe nie den Probenraum. Ich sehe konkret, was da stattfindet, aber ich übertrage das gleichzeitig immer in den Originalraum. Oder wie ich mir die dann vorstelle. Ich sehe nie den Raum in dem Raumboden. Und was wir konkret sehen, sehe ich nie. Ich sehe den Boden und die Leute drauf und ich stelle mir immer vor, sie sind schwarz angezogen, so ähnlich wie der Boden, damit sie verschwinden können. Ich stelle sie mir immer einfarbig, gelb oder auch mal grün vor. Ich bin immer in dieser Vorstellung.

Traub: Das hat den Tanz schon immer interessiert, Leute verwinden zu lassen ohne daß sie abtreten.

Golonka: Der Raum ist nur eine Vorstellung, aber von den Maßen her ist er konkret. Ich überlege schon jetzt, während der Improvisation z.B., ist alles auf einem Haufen, wie wäre es, wenn es im richtigen Raum wäre. Wäre es zersplittert, oder wäre es auch kompakt. Das hat damit zu tun, daß ich den Marstall in Benrath hatte, wo ich über viele Jahre Erfahrung gesammelt hatte, im Originalraum zu arbeiten. Doch da gab es nie den Moment und das Erlebnis, nicht genau zu wissen, was das Stück wird. Weil der Raum immer da war. Ich beschäftigte mich nie damit, wie ich das Stück auf die Bühne transportiere.

Traub: Permanente Übertragungen und Transformationen anzustellen, empfinde ich als Choreographie. Choreographie ist ein fortwährender Prozeß der Verschiebung, es ist Bewegung!

Golonka: Das ist Zeit. Choreographie ist Zeit. Wenn der Raum zehn Meter groß ist, oder zwanzig Meter, das ändert die Zeit. Und deswegen muß man dieses Bewusstsein immer mit sich tragen. Das haben alle Tänzer.

Traub: Glaubst Du, daß ein Raum ein Gewicht hat und daß er sein Gewicht auch einbüßen kann?

Golonka: Ein Bühnenbild kann nie ein Gewicht geben. Das entlädt den Menschen physisch, ich glaube, das ist Physik, eine physikalische Sache. Man setzt einen Menschen in ein Bühnenbild und durch die Maße wird der Mensch nie Halt haben, weil das Material, das ihn umgibt, zu leicht ist. Man muß sich immer alles vorstellen, man kann nichts glauben in den Bühnenbilder.

Traub: Ja aber hier liegt der spannende Unterschied zu Deinen Arbeiten. Bei Dir werden die Vorstellungsräume ganz anders ins Spiel gebracht. Du lädst Räume sinnlich auf. Sinnlich im Sinne, was sagen meine Sinne oder wie täuschen sie mich.

Golonka: Vollkommen!

Traub: Findest Du, daß Deine Räume was Romantisches haben?

Golonka: Das Romantische hat immer mit Entgrenzung zu tun. Das Staunen ist immer da. Das ist das Romantische. Es geht mir immer um das Staunen, ob beim Rock ’n’ Roll ist oder bei einem Klang ... – es ist immer das Staunen.

Traub: Und das Verlangen danach, daß man erstaunt wird.

Golonka: Ohne Erstaunen ist alles zu schnell verdaulich. Das wäre dann zu viel Arbeit für nichts.

Traub: Was ist die Arbeit in deinen Stücken?

Golonka: Die Arbeit hat immer mit einer Beschäftigung zu tun und die Beschäftigung ist so lange da, wie man lebt. Es gibt immer wieder Momente, in denen man das konkretisiert und Momente, in denen man darüber nachdenkt. Man sammelt. Aber es kommt nie vor, daß mich nichts beschäftigt. Und ich glaube, das ist der Unterschied zwischen einen Job haben und erledigen und Stücken, die aus einer ständigen Beschäftigung und damit Notwendigkeit heraus entstehen.
Was ich sehr lustig finde, wenn ich selber meine Stücke beobachte, ist, daß Fremde oft denken, man hat sich das alles gedacht. Als ob es eine Planung wäre. Doch im Grunde sind es immer nur Ergebnisse, die sich angesammelt haben. Mir geht es in meiner Arbeit immer darum, eine Auseinandersetzung zu schaffen. Man weiß nicht, ob es einem gelingt. Man hat nur Vermutungen. Doch die Sonne kann auch nicht immer bleiben. Aber man muß sie hinkriegen, die Arbeit. Ich glaube, die Arbeit ist nicht immer der Grundmoment, nicht das Schwierigste. Sondern die Gegenarbeit zu machen, das ist schwieriger. Das ist die Spannung und da definiert sich die Zeit und die Wirkung. Ich möchte schon gerne, daß man die Arbeit nicht vergisst. Es ist wie ein Erlebnis. Und es muß auch wie ein Erlebnis sein.


Traub: Wieviel hat Deine Arbeit mit Ausdruck und Exzentrik zu tun?

Golonka: Exzentrisch. Wenn das Zentrum sehr verankert ist, kann man es sich erlauben, es soweit wie möglich auszuloten. Denn nur die Eigenart kann exzentrisch sein. Es ist noch was anderes. Es ist anders, als wenn man etwas ein- oder zwei- oder dreidimensional im Raum und auf der Bühne definiert, weil es immer gedacht ist. Für das Theater ist das meist maximal dreidimensional. Der Tanz jedoch denkt mindestens vierdimensional, auch sechs- oder achtdimensional. Das hat mit der Form von Bewegung zu tun. Man kann eine acht drehen, das ist Form, man kann sich hinlegen, das ist wieder eine andere Form. Exzentrik verlangt, daß Form da ist. Wenn man die nicht für sich entdeckt hat, wenn man sie aber für sich gelernt und studiert hat, ist sie nicht denkbar und nicht ertragbar. Vielleicht ist das auch so mit dem Bühnenbild und dem Raum. Der Raum hat keine Form, aber eine Existenz.