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Spielplan



Frankfurter Dialoge: Geistige Armut - Kulturelle Amnesie

/ Philosophische Salons von und mit Wolfgang Engler
/ Glas Haus




Geistige Armut bedeutet nicht nur, daß das Bildungswesen verkümmert, sie bedeutet auch, daß kulturelle Zusammenhänge aus dem historischen und gesellschaftlichen Gedächtnis verschwinden. Wenn es im neoliberalen Globalisierungsmechanismus nur noch darum zu gehen scheint, Kapital zirkulieren und sich vermehren zu lassen, ohne daß Menschen – es sei denn als Konsumenten – noch gebraucht werden würden, wird ein Gespenst geboren, das weder faßbar noch verortbar ist. Die freigesetzten Massen, das neue Heer der Arbeitslosen, sehen sich einer Situation ausgesetzt, neu über Beschäftigung, neu über die sinnvolle Gestaltung ihrer Zeit nachdenken zu müssen. In sechs philosophischen Salons sollen Fragen gestellt werden, die sich mit den kulturellen und sozialen Folgen der in Gang gesetzten, wirtschaftlich automatisierten Kapitalselbstverwertung beschäftigen. Es werden folgende Themen erörtert: »Vom Nutzen der Utopie oder der Lesbarkeit der Welt«, »Orientierung durch religiösen Glauben«, »Abschied von der Arbeitsreligion«, »Abstrakter Kapitalismus«, »Finale des Neoliberalismus« und »Hybris der Massenmedien«.


Salon 1 – Vom Nutzen der Utopie
oder die Lesbarkeit der Welt
22. Oktober 2006;
15.00 Uhr
Gast: Robert Misik


Utopien sind nicht deshalb für uns unverzichtbar, weil sie künftige Welten ausgestalten; wir benötigen sie, um uns in der Gegenwart zurechtzufi nden. Ohne gedankliche Realitätsüberschreibung, ohne einen Punkt außerhalb des krud Gegebenen können wir die Welt, in der wir leben, nicht entziffern. Das Schicksal utopiearmer Zeiten ist die richtungslose Drift des Daseins. Ohne erstrebenswerte Zukunft verliert die Herkunft ihren Auftrag.

Salon 2 – Orientierung durch religiösen
Glauben?
12. November 2006;
15.00 Uhr
Gast: Gret Haller


Das »alte Europa«, das unversöhnliche Glaubenskämpfe hinter sich wähnte, wird aufs neue durch religiöse Ideologien herausgefordert, und die Frage lautet, ob Aufklärung und demokratische Verfahren genügen, um diese Auseinandersetzung zu bestehen. Können die Europäer an ihre Glaubenstradition anknüpfen, sie reaktivieren oder wäre das ein Irrweg? Gibt es eine erfolgversprechende Alternative zur Privatisierung und Entstaatlichung des Glaubens?

Salon 3 – Abschied von der Arbeitsreligion
10. Dezember 2006;
15.00 Uhr
Gäste: Annett Gröschner
und Franz Schultheis


In Gesellschaften der uns vertrauten Art gilt Lohnarbeit als das an sich Gute, Erstrebenswerte, herrscht die Ansicht vor, es könnte gar nicht genug davon geben. Es gilt der Satz: Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit! Lohnarbeit ist zum Objekt einer quasi-religiösen Begierde geworden, von Regierenden wie Regierten gleichermaßen verehrt. Diese säkularisierte Religion verdammt Menschen, die ihr Leben nicht durch Lohnarbeit begründen können, zu einem Dasein am Rande der Gesellschaft, ohne Würde und Respekt. Die Erschütterung dieses Glaubenssystems ist die erste Voraussetzung zur inneren und äußeren Befreiung des Daseins von Millionen von Menschen.

Salon 4 – Abstrakter Kapitalismus
21. Januar 2007;
15.00 Uhr
Gast: Reinhard Blomert


Unser Bild des modernen Kapitalismus und seiner Zentralfigur, des Unternehmers, ist untrennbar von der Vorstellung realer ökonomischer Unternehmungen, von Investitionen in Technik und Technologie zum Zweck der Herstellung von Waren und Dienstleistungen. Dieses Bild wird zunehmend anachronistisch, wirklichkeitsfremd. Statt Geld in Kapital zu verwandeln, verfährt der zeitgenössische Kapitalist in wachsendem Maße umgekehrt, läßt er Kapital als pures Geld
fungieren, das immer mehr Geld schöpft. Langfristige Investitionen in Anlagen und Personal gelten als Umweg, als störende Dazwischenkunft zeitaufwendiger Realprozesse, die die Wertschöpfung nur aufhalten. Durch diese Ablösung vom Realen und »Figürlichen« wird das Kapital zu einer abstrakten Verwertungsmaschine, zu einem rein monetären Tableau.

Salon 5 – Finale des Neoliberalismus oder
Frischzellenkur für das Kapital?
20. Mai 2007;
15.00 Uhr
Gast: Frank Siren


Die Kritik am Gegenwartskapitalismus leidet vielfach darunter, daß sie nur aus dem Blickwinkel der entwickelten Industriegesellschaften formuliert wird. Die Bedrohung zivilisatorischer Errungenschaften, der Verlust sozialer und kultureller Selbstverständlichkeiten in unserem Teil der Welt gehen aber einher mit dem Machtgewinn und Aufstieg anderer Regionen. Das einprägsamste Exempel für diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen liefert derzeit China. Dort unterwirft sich das Kapital politischen Bedingungen, die es hierzulande niemals akzeptieren würde – mit Konsequenzen für unser Leben, die tiefgreifender kaum sein könnten.

Salon 6 – Vom Mittler zum geistigen
Präzeptor: die Hybris der Massenmedien
Juni 2007
Gäste: Volker Lilienthal (epf),Stefan Reinecke (taz), Arno Widmann


»Die intellektuelle Welt ist ein Ort manchmal erbitterter Kämpfe und wird in ihrer Unabhängigkeit und Autonomie ständig durch alle möglichen äußeren Kräfte bedroht, von denen die gefährlichste heute zweifellos der Journalismus ist, eine Macht, die ihrerseits von anderen Mächten beherrscht wird: mehr oder weniger lautlos von denen der Politik oder der Wirtschaft, die insbesondere dadurch wirken, daß die Werbung, also das Anzeigengeschäft, bei den Presseorganen finanziell von hoher Bedeutung ist [...] Schon heute haben Philosophen und Wissenschaftler, die sich bemühen, die gesellschaftliche Welt zu erforschen, in den Journalisten eine triumphierende Konkurrenz. Diese begnügen sich nicht mehr damit, Informationen zu verbreiten; sie möchten sie auch produzieren. Und sie sind in der Tat in der Lage, ›das Ereignis zu machen‹ und der Öffentlichkeit tagtäglich Diskussions- und Reflexionsthemen aufzuzwingen und die obligatorischen Gedanken gleich mitzuliefern.« (Pierre Bourdieu, Hans Haake: Freier Austausch. Für die Unabhängigkeit der Phantasie und des Denkens)

Die Frankfurter Dialoge werden dokumentiert und vom Münchner belleville Verlag publiziert. Dokumentationen der 1. bis 3. Frankfurter Dialoge sind an der Kasse und an den Programmhefttischen im schauspielfrankfurt erhältlich.