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Fräulein Julie

"Ich finde die Lebensfreude...


...in den starken,
grausamen Kämpfen
des Lebens"

Aus dem Vorwort zu "Fräulein Julie" von August Strindberg

[…] Im vorliegenden Drama habe ich versucht, nicht etwas Neues zu machen – denn das kann man nicht –, sondern nur, die Form den Forderungen entsprechend zu modernisieren, die, wie ich vermute, die neuen Menschen der Zeit an diese Kunst stellen würden. Und zu diesem Zweck habe ich ein Motiv gewählt oder mich von ihm ergreifen lassen, von dem man sagen kann, daß es außerhalb der Parteienkämpfe des Tages liegt, weil das Problem vom sozialen Aufstieg oder Fall, von Höher oder Niedriger, Besser oder Schlechter, Mann oder Frau, von dauerndem Interesse ist, war und bleiben wird. Wie ich dieses Motiv aus dem Leben nahm, so wie ich vor einer Anzahl von Jahren, als das Ereignis einen starken Eindruck auf mich machte, von ihm sprechen hörte, fand ich es geeignet für ein Trauerspiel, denn noch macht es einen traurigen Eindruck, ein glücklich gestelltes Individuum untergehen, um so mehr, ein Geschlecht aussterben zu sehen. Doch es wird vielleicht eine Zeit kommen, in der wir so entwickelt, so aufgeklärt geworden sind, daß wir dem jetzt rohen, zynischen, herzlosen Schauspiel, welches das Leben bietet, mit Gleichgültigkeit zusehen, in der wir diese niederen, unzuverlässigen Gedankenmaschinen, Gefühle genannt, abgelegt haben, welche überflüssig und schädlich werden, wenn unsere Urteilsorgane ausgewachsen sind. Daß die Heldin Mitleid erregt, beruht nur auf unserer Schwäche, dem Gefühl der Furcht nicht widerstehen zu können, dasselbe Schicksal könnte uns widerfahren. Der sehr sensible Zuschauer wird jedoch mit diesem Mitleid vielleicht nicht zufrieden sein, und der Mann der Zukunft mit seinem Glauben wird vielleicht einige positive Vorschläge zur Abhilfe des Übels fordern, ein Stück Programm mit anderen Worten. Erstens aber gibt es kein absolutes Übel, denn daß ein Geschlecht untergeht ist ja ein Glück für ein anderes Geschlecht, das nach oben kommen kann, und der Wechsel von Steigen und Fallen bildet einen der größten Reize des Lebens, da das Glück nur im Vergleich liegt. Und den Programm-Mann, der dem leidigen
Umstand abhelfen möchte, daß der Raubvogel die Taube und die Laus den Raubvogel frißt, möchte ich fragen: Warum soll man dem abhelfen? Das Leben ist nicht so mathematisch-idiotisch, daß nur die Großen die Kleinen fressen, sondern es kommt ebenso oft vor, daß die Biene den Löwen tötet oder ihn zumindest verrückt macht. Daß mein Trauerspiel auf viele einen traurigen Eindruck macht, ist der Fehler dieser vielen. Wenn wir stark werden wie die ersten französischen Revolutionäre, wird es einen unbedingt guten und heiteren Eindruck machen, der Läuterung der Forste von morschen überalterten Bäumen zuzusehen, die anderen mit dem gleichen Recht, ihre Zeit zu wachsen, zu lange im Weg gestanden haben, einen guten
Eindruck, wie wenn man sieht, daß ein unheilbarer Kranker sterben darf! […]
Ich finde die Lebensfreude in den starken, grausamen Kämpfen des Lebens, und mein Genuß besteht darin, etwas zu erfahren, etwas zu lernen. Und darum habe ich einen ungewöhnlichen Fall gewählt, jedoch einen lehrreichen, eine Ausnahme mit einem Wort, jedoch eine große Ausnahme, die die Regel bestätigt, die aber die verletzen wird, die das Banale lieben. Woran als nächstes dann das einfache Gehirn Anstoß nehmen wird, ist die Tatsache, daß meine Motivierung der Handlung nicht einfach ist, und der Gesichtspunkt nicht einseitig. Ein Ereignis im Leben – und dies ist eine ziemlich neue Entdeckung! – wird gewöhnlich von einer ganzen Reihe mehr oder weniger tiefliegender Motive hervorgerufen, doch der Zuschauer wählt meist das, das für sein Urteil am leichtesten begreiflich und für die Ehre seines Urteilsvermögens am vorteilhaftesten ist. Hier wird ein Selbstmord begangen. Schlechte Geschäfte! Sagt der Bürger. – Unglückliche Liebe! sagen die Frauenzimmer. – Körperliche Krankheit! Der Kranke. – Enttäuschte Hoffnung! der Gestrandete. Nun kann es aber sein, daß das Motiv überall lag, oder nirgends, und daß der Verstorbene das Grundmotiv verborgen hat, indem er ein ganz anderes vorschob, das über sein Andenken das beste Licht warf! […] Als moderne Charaktere, in einer Übergangszeit lebend, mehr schnellebig hysterisch als zumindest die vorangegangene, habe ich meine Figuren eher schwankend geschildert, zerrissen, aus Altem und Neuem gemischt, und es kommt mir nicht unwahrscheinlich vor, daß moderne Ideen durch Zeitungen und Gespräche selbst in die Schichten hinuntergesickert sind, in denen ein Domestik leben mag. Darum kommt dem Bediensteten mitten in seiner erblichen Sklavenseele dies und jenes Moderne hoch. Und diejenigen, die es unrichtig finden, daß wir in modernen Dramen die Menschen darwinistische Gedanken aussprechen lassen, während sie gleichzeitig Shakespeare zur Ansicht empfehlen, will ich daran erinnern, daß der Totengräber in Hamlet Giordano Brunos (Bacons) Modephilosophie jener Zeit vertritt, was wahrscheinlicher ist, da die Vorbereitungsmittel für Ideen in jener Epoche weniger zahlreich waren als jetzt. Und im übrigen ist es so, daß es ›Darwinismus‹ zu allen Zeiten gegeben hat, seit Moses’ sukzessiver Schöpfungsgeschichte von den niederen Tieren bis zum Menschen hinauf, daß wir ihn aber jetzt erst entdeckt und formuliert haben! Meine Seelen (Charaktere) sind Konglomerate vergangener Kulturstufen und bestehender, Brocken aus Büchern und Zeitungen, Stücke von Menschen, abgerissene Fetzen von Sonntagskleidern, die zu Lumpen geworden sind, ganz wie die Seele zusammengeflickt ist. Und ich habe außerdem ein wenig Entstehungsgeschichte gegeben, indem ich den Schwächeren vom Stärkeren Worte stehlen und wiederholen, ›Ideen‹, Suggestionen, wie es heißt, von einander, von der Umgebung (das Blut des Zeisigs), von den Attributen (das Rasiermesser) holen lasse, und ich habe ›Gedankenübertragung‹ durch totes Medium (die Reitstiefel des Grafen, die Klingel) stattfinden lassen; schließlich ›wache Suggestionen‹ zu Hilfe genommen, eine Variation der im Schlaf, und diese ist jetzt so vulgarisiert und anerkannt, daß sie nicht Gelächter oder Misstrauen hervorrufen kann, wie sie es zu Zeiten Mesmers getan hätte. […] Was den Dialog endlich angeht, habe ich mit der Tradition etwas gebrochen, indem ich meine Personen nicht zu Katecheten gemacht habe, die dasitzen und dumme Fragen stellen, um eine geistreiche Replik hervorzulocken. Ich habe das Symmetrische, Mathematische des französisch konstruierten Dialoges vermieden und die Gehirne unregelmäßig arbeiten lassen, wie sie es in Wirklichkeit tun, wo in einem Gespräch ja kein Thema bis auf den Grund erschöpft wird, sondern das eine Gehirn vom anderen aufs Geratewohl einen Radzahn aufnimmt, in den es eingreifen kann. Und darum irrt auch der Dialog umher, versorgt in den ersten Szenen mit einem Material, das dann bearbeitet, aufgenommen, wiederholt, entfaltet, ergänzt wird, wie das Thema in einer musikalischen Komposition.
Die Handlung ist gewichtig genug, und da sie eigentlich nur zwei Personen berührt, habe
ich mich an diese gehalten, nur eine Nebenperson, die Köchin, hinzuziehend und den unglücklichen Geist des Vaters über und hinter dem Ganzen schweben lassen. Diese, weil ich glaube bemerkt zu haben, daß für den Menschen der neueren Zeit der psychologische Verlauf das ist, was am meisten interessiert, und unsere wißbegierigen Seelen begnügen sich nicht damit, etwas vor sich gehen zu sehen, sondern zu erfahren, wie es zugeht! Wir wollen gerade die Fäden sehen, die Maschinerie sehen, die doppelbödigen Schachteln untersuchen, den Zauberring anfassen, um die Naht zu finden, in die Karten gucken, um zu entdecken, wie sie gekennzeichnet sind. […] Was das Technische der Komposition betrifft, habe ich die Akteinteilung versuchsweise gestrichen. Dieses, weil ich glaube festgestellt zu haben, daß unsere abnehmende Illusionsfähigkeit durch Zwischenakte möglicherweise gestört würde, in denen der Zuschauer Zeit hat zum Reflektieren und dadurch dem suggestiven Einfluß des Autor- Magnetiseurs entzogen wird. Mein Stück dauert wahrscheinlich sechs Viertelstunden, und wenn man eine Vorlesung oder Predigt oder eine Kongreßverhandlung ebenso lange oder länger anhören kann, habe ich mir eingebildet, daß ein Theaterstück nicht in eineinhalb Stunden ermüdet.

Aus: August Strindberg:
Werke in zeitlicher Folge,
Deutsch von Angelika Gundlach
Frankfurter Ausgabe, Fünfter
Band, Frankfurt/Main 1984.