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Spielplan


Termine Großes Haus:

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Termine :

03. März 2002

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Der Menschenfeind

von Molière
Aus dem Französischen von Frank-Patrick Steckel / Fassung: Andreas von Studnitz /

Bühne: Florian Parbs; Kostüme: Florian Parbs; Dramaturgie: Claus Caesar; Darsteller: Roland Bayer, Werner Fritz, Wolfgang Gorks, Katrin Grumeth, Albert Kitzl, Ruth Marie Kröger, Katharina Linder, Michael Scherff


Ein Heuchler ist ein Heuchler, ein schlechter Dichter ist ein schlechter Dichter: Alceste spricht Klartext. Falls der Betreffende zufällig daneben steht – umso besser. Da kann Freund Philinte jedes mögliche Argument bemühen, Alceste, angewidert von der Haltungslosigkeit der Welt, kümmert sich nicht um Befindlichkeiten. Und er nimmt es gern in Kauf, Prozesse zu verlieren, wenn er sich andernfalls verbiegen müßte. Nur eine Sache macht dem Junggesellen Kopfzerbrechen: Er liebt Célimène. Doch die junge Witwe denkt gar nicht daran, sich den Maßstäben des Moralisten zu unterwerfen. Auf Klatsch und Partys zu verzichten, nur um dem einen Mann zu gefallen, das hat sie nicht nötig. Alceste aber, der Unbedingte, hält nichts vom Flirten, vom Spiel mit der Distanz. Eifersüchtig, zusätzlich aufgestachelt durch verdächtige Briefe und hin- und hergerissen zwischen Zuneigung und Haß, will er Célimène zur Rede stellen. Ganz oder gar nicht. Bleiben – oder gehen. Alles gut? Alles schlecht?




Von Gesellschaft und Unterhaltung

Wo man nur hintritt, stößt man auf schlechte Spaßmacher, und es regnet im ganzen Lande von dieser Art von Insekten.
Wenn man all dem Frostigen, Leeren und Albernen in den gewöhnlichen Unterhaltungen eine ernste Aufmerksamkeit schenkt, so würde man sich schämen, zu sprechen oder zuzuhören, und sich zu einem fortwährenden Stillschweigen verdammen, was noch schlimmer sein würde, als die unnützen Gespräche. Man muß sich also allen Geistern anbequemen; man muß dies Mitteilen falscher Neuigkeiten, weitschichtiger Betrachtungen über die gegenwärtige Regierung oder über das Interesse der Fürsten, das Vorbringen schöner Gesinnung, was stets auf dieselbe Weise wiederkehrt, als ein notwendiges Übel hinnehmen.
Man trifft Leute, die einem in der Unterhaltung oder im gelegentlichen Umgang durch ihre lächerliche Ausdrucksweise, durch ungewöhnliche, besser gesagt: falsch angebrachte Redensarten, deren sie sich bedienen, ebenso mißfallen wie durch die Verknüpfung von Worten, die sich nur in ihrem Munde so zusammenfinden und denen sie Bedeutungen beilegen, an die ihre Erfinder nie gedacht haben. Sie folgen, wenn sie sprechen, weder der Vernunft noch dem Brauch, sondern ihrem eigenen wunderlichen Geist und verfallen in ihrer Sucht, immer spaßhaft zu sein und sich sogar hervorzutun, allmählich in ein eigenes Kauderwelsch, das schließlich ihre natürliche Sprache wird. Sie begleiten eine so überspannte Redeweise mit affektierten Gesten und einer nachgefärbten Aussprache.
Alle diese Leute sind von sich selbst und der Anmut ihre Geistes eingenommen, und man kann auch nicht behaupten, daß sie völlig geistlos seien; doch sie tun einem in ihrer Geistesarmut, und – was schlimmer ist – man leidet darunter.
Wer ist in der Gesellschaft vor der Begegnung mit gewissen selbstgefälligen, oberflächlichen, vertraulich tuenden, hartnäckigen Geistern sicher, die fortwährend am Sprechen sind und von den andern angehört werden müssen? Schon im Vorzimmer vernimmt man ihre Stimme; man tritt ein, ohne gerügt zu werden oder befürchten zu müssen, daß man sie störe; sie setzen ihr Gespräch fort, ohne im geringsten darauf zu achten, wer kommt oder geht, welchen Standes oder Verdienstes die Personen sind, die den Kreis bilden. Sie fallen dem, der eine Neuigkeit berichten will, in die Rede, um sie auf ihre Art zu erzählen, die natürlich die beste ist. Sie nähern sich bisweilen dem Vornehmsten in der Versammlung, um ihn mit einer Nachricht zu beglücken, die niemand kennt und die sie für andere Ohren noch nicht geeignet halten; sie unterdrücken einige Namen, um ihre Geschichte zu verdunkeln und zu verhüten, daß daraus nachteilige Folgen entstehen; man kann sie bitten, in sie dringen, vergeblich: es gibt Dinge, die sie niemals sagen werden, Leute, die sie keinesfalls nennen dürfen, sie haben ihr Wort verpfändet, es ist das tiefe Geheimnis, ein wahres Mysterium – abgesehen davon, daß man wirklich Unmögliches von ihnen verlangt: denn von der Sache, die man von ihnen erfahren möchte, kennen sie weder den Verhalt noch die Personen.
Es gibt Menschen, die einen Augenblick früher sprechen als sie denken. Andere wieder schenken der Wahl ihrer Worte eine ermüdende Sorgfalt, und man hat in der Unterhaltung die ganze Anstrengung ihres Denkens mitzuleiden; sie stecken voller Phrasen und gekünstelter Wendungen und sind affektiert in Gesten und Haltung; sie sind so auf sprachliche Korrektheit bedacht, daß sie nicht ein Wort herausbringen, auch wenn es die schönste Wirkung von der Welt hätte; kein glücklicher Ausdruck gelingt ihnen, nichts fließt leicht und zwanglos über ihre Lippen: sie sprechen sauber und langweilig.
Wer immerfort erklärt, er besitze Ehrgefühl und Rechtschaffenheit, er schade niemandem, er wolle gern das Übel, das er andern zufüge, auch selbst auf sich nehmen, und das alles noch beschwört, um es glaubhaft zu machen, der versteht einen rechtschaffenen Mann nicht einmal gut zu spielen.. Ein redlicher Mensch kann es bei aller Bescheidenheit nicht verhindern, daß man von ihm genau so spricht, wie der Unredliche es von sich selber fertig bringt.
Den Mund auftun und beleidigen ist bei manchen Leuten ein und dasselbe. Sie sind bissig und bitter, ihre Rede besteht aus Gift und Galle; Spott, Beleidigungen und Grobheiten fließen ihnen von den Lippen wie Speichel. Sie wären besser stumm und blöde auf die Welt gekommen; ihr Temperament und Geist schadet ihnen mehr als manchen andere ihre Dummheit. Sie haben nicht einmal an einer bitteren Antwort genug, voll Unverschämtheit greifen sie sogar an; sie schlagen auf alles los, was vor ihre Zunge kommt, auf Anwesende wie auf Abwesende; sie stoßen nach vorn und nach der Seite wie Widder: will man von einem Widder verlange, daß er keine Hörner hat? Ebensowenig darf man hoffen, daß sich so dickköpfige, wilde und unbelehrbare Naturen durch diese Schilderung ändern lassen. Das beste, was man tun kann, ist: sobald man sie auch nur von der Ferne erblickt, so schnell wie möglich das Weite suchen, ohne sich umzusehen.
Bei aller Tugend, Fähigkeit und guten Führung kann man doch unerträglich sein. Umgangsformen, die man als belanglos außer acht läßt, führen oft zu guten oder schlechten Urteilen über uns: wenn man nur eine Kleinigkeit auf höfliches und gefälliges Benehmen achte, dann beugt man ungünstigen Urteilen vor. Es gehört fast nichts dazu, um in den Ruf zu kommen, grob, hochmütig und ungefällig zu sein; es braucht aber noch weniger, um für das Gegenteil gehalten zu werden.
(La Bruyère, 1688)