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Die Zeit der Plancks

Sergi Belbel

Bühne: Raimund Bauer; Licht: Ellen Jaeger; Darsteller: Babett Arens, Wolfgang Gorks, Katrin Grumeth, Nicola Gründel, Anita Iselin


Deutschsprachige Erstaufführung

„Wenn wir sterben / wie lange braucht da das Gehirn bis es tot ist / wo bleibt unser Bewußtsein.“

Planck, Besitzer eines Geschäfts für Bilderrahmen, liegt im Sterben. An seinem Bett trifft sich die Familie: Gattin Sarah, die vier Töchter und Nachbar Max, ein angehendes Physikgenie und der Liebling des alten Planck. Der richtige Ort für eine grandiose Abrechnung, Zeit dafür, sich die Fehlschläge und enttäuschten Wünsche um die Ohren zu schlagen: Sexualneid, Ängste, Mißgunst. Sarah findet, die Zeit ihrer Kinder ist ein großes Durcheinander. Jede lebt in ihrem eigenen Universum. Begreifen aber läßt sich ein Leben erst vom Tod her. Unmittelbar vor dem Ende, so sagt man, fliegt noch einmal die ganze Existenz an einem vorüber, scheint sich der Zeitpfeil umzudrehen. Ein Moment der größten Verdichtung und der fast unendlichen Ausdehnung. In dieser Todessekunde spielt das Stück des spanischen Autors Sergi Belbel, und in dieser Todessekunde wuchert alle Handlung hinüber ins Surreale, Regellose. Alles ist möglich, alles ist umkehrbar. Tote stehen wieder auf, Kinder gebären ihre Eltern. Bis sich die Welten klären.


Interview mit Sergi Belbel

Sie sind einer der bekanntesten Theaterautoren Spaniens, und Ihre Stücke sind in viele Sprachen übersetzt worden. Was sind Ihre Vorlieben hinsichtlich des Theaters, was sind Ihre Abneigungen?

Schwer zu sagen. Ich habe keine besonders ausgeprägten Vorlieben. Manchmal muß ich mich in die Lektüre der Klassiker vertiefen, weil ich keine aktuellen Aufführungen finde, die mich zufriedenstellen. Manchmal begeistern und beeindrucken mich bestimmte zeitgenössische Texte von lebenden Autoren. Aber es fällt mir schwer, eine Liste meiner „Vorlieben und Abneigungen“ zu erstellen, weil sich meine Meinung ja auch im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Autoren und Texte, die mir noch vor Jahren gefallen haben, sagen mir heute nichts mehr, und umgekehrt.
Was das Theater als szenische Handlung betrifft, begeistern mich in Wirklichkeit ... die Schauspieler. Diese fremden, widersprüchlichen, faszinierenden Wesen, denen es aufgegeben ist, Ideen und Gefühle zu transportieren und für die wir schreiben müssen. Es gibt nichts, was mir größere Freude macht als die Begeisterung eines Schauspielers für meine Arbeit (für meine Texte oder für meine Regiearbeiten). Das ist eine sehr viel größere Belohnung für mich als beispielsweise eine gute Kritik in einer Zeitung.
Andere Dinge, die mir nicht gefallen …, ich weiß nicht, vielleicht die Tatsache, daß das Theater eine langsame Kunst ist, der es (zumindest in meinem Land) schwerfällt, wirklich aktuell zu sein, was neue Sprachen, neue Techniken usw. betrifft. Obwohl sein handwerklicher Charakter auch einen gewissen Reiz hat....


Gibt es eine bestimmte literarische oder theatrale Tradition, der Sie sich zugehörig fühlen?

Das ist eine interessante Frage, für die ich allerdings auf Grund der kulturellen und sprachlichen Besonderheiten meines Landes viel Raum bräuchte, um sie zu beantworten. Ich bin Katalane, ich schreibe auf katalanisch und, obwohl ich aus einer andalusischen Immigrantenfamilie stamme, habe ich meine ganze Ausbildung auf katalanisch bekommen. Daher habe ich das spanische kulturelle Erbe durch meine Familie erhalten und das katalanische literarische und kulturelle Erbe durch meine Ausbildung. Was das Theater betrifft, so hat mich die spanische Kultur zweifellos entscheidend beeinflußt, vom klassischen Theater des siglo d‘oro bis zu Valle-Inclán und Lorca, aber gleichzeitig habe ich auch die Notwendigkeit verspürt, mich in diese andere, begrenztere Kultur „einzuschreiben“, begrenzt durch die spezifischen Widrigkeiten einer Kultur, die sich auf das Konzept der „Nation ohne Staat“ stützt, aber gleichwohl nicht weniger ambitioniert ist: die katalanische. Es ist unmöglich, diese Zugehörigkeit zu zwei unterschiedlichen, sich aber gleichwohl – warum auch nicht – ergänzenden kulturellen Welten, in wenigen Worten zusammenzufassen, das Hauptunterscheidungsmerkmal ist vor allem die Sprache, mit all den Implikationen, die diese in sich trägt.

In den letzten Jahren haben Sie auch für das Fernsehen und das Kino geschrieben. Wie würden Sie den Unterschied beschreiben im Vergleich zur Arbeit für das Theater?

Was mir wirklich gefällt, ist, für das Theater zu schreiben. Im Theater ist es der Autor und Dramatiker, der „den Grundstein legt“ und quasi aus dem Nichts schafft. Dies ist der große Unterschied, der den „Theaterschriftsteller“ in eine andere Position bringt als denjenigen, der Drehbücher für das Fernsehen oder das Kino schreibt. Ein Fernsehtext ist eine Gemeinschaftsarbeit, die normalerweise von den Vorgaben der Produktion bestimmt wird. Im Kino ist der Drehbuchschreiber oft nicht mehr als ein Mitarbeiter desjenigen, der der eigentliche Autor des Filmes ist: der Regisseur. Der theatrale Text ist für mich sehr viel freier, mit all den Vorteilen und Unbequemlichkeiten, die dies mit sich bringt.
Im Kino oder im Fernsehen kann man sich auf die anderen Teile des Teams stützten. Der Theatertext ist für mich sehr viel einsamer, beklemmender und, wenn das Ergebnis positiv ist, stimulierender.


Die zentrale Metapher in der „Zeit der Plancks“ ist die „Planck-Zeit“, der allererste Moment (10 –43 Sekunden) nach dem Urknall, der, gewendet, auch als allerletzter Moment in einem Leben verstanden werden kann. Wie kommt es, daß Sie die Theorien des Physikers Max Plancks für das Theater entdeckt haben?

Als ich mit Fünfzehn in die Oberstufe kam, mußten wir zwischen zwei Bildungswegen wählen: den Natur- und den Geisteswissenschaften. Ich habe mich ohne zu zögern für die Geisteswissenschaften entschieden. Damals konnte ich mir noch nicht vorstellen Schriftsteller oder irgend etwas in der Art zu werden, aber ich las gern und ich mochte das Theater, … ich habe keinen Augenblick gezweifelt.
Trotzdem hatte ich einen Lehrer, der mir sagte: Sergi, du irrst dich, mit deinen Fähigkeiten solltest du „Naturwissenschaften“ wählen. Ich nehme an, dieser Lehrer riet mir, Naturwissenschaften zu studieren, weil es mir leicht fiel, mathematische Zusammenhänge zu verstehen und aufzunehmen. Damals habe ich das Studium der Naturwissenschaften für immer aufgegeben, aber es blieb immer das Gefühl, daß ich mich im Weg geirrt haben könnte. Mich begeistern die Naturwissenschaften, wenn auch lediglich als eine Art Hobby, als Leser rein populärwissenschaftlicher Bücher.
Auf diese Weise, indem ich Bücher über Naturwissenschaft und Astrophysik für Laien las, entdeckte ich die Theorien Plancks, auch wenn ich manchmal doch das ein oder andere etwas spezialisiertere und kompliziertere Buch lese. Ich liebe es, solche Bücher zu lesen, sie „entgiften“ mich von dem vielen Theater und, ohne es zu wollen, helfen sie mir, auf einige grundlegende Fragen über unsere Existenz eine Antwort zu bekommen.


Während der „Planck-Zeit“ gelten die Kategorien von Raum und Zeit nicht, Ursache und Wirkung sind theoretisch vertauschbar. Wie wirkt sich dies auf das Stück und dessen Geschichte aus?

Ja, es beeinflußt das Stück, besonders all die Szenen der „Einbildung“ Marias, der jüngsten Tochter, und vor allem am Ende des Stücks, wo Zeit, Raum und das Konzept der Figur pervertiert werden, bis sie in eine chaotische Mischung umschlagen, wo sich keine Kategorie mehr von der anderen trennen läßt, nachdem Marias Verstand es einmal geschafft hat, selbst die Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten.


Das Stück spielt im Moment des Todes, und es erforscht die Möglichkeiten, das eigene Leben als kontinuierliches zu denken. Was kann Identität oder ein gelungenes Leben sein?

Ich habe keine religiösen Überzeugungen, auch wenn mich, wie alle Welt, die Idee des Todes, der Auflösung, des Verlustes und des Nichts erschreckt. Das Stück ist ein Versuch, Antworten auf diese Fragen, die uns beängstigen, zu finden. Und die Wissenschaft nimmt im Stück den Ort der Religion ein. Natürlich ist es klar, daß es keine Antworten gibt. Mich beunruhigt, daß unser Verstand in der Lage ist, über unsere eigene Existenz nachzudenken. Alle Personen in „Die Zeit der Plancks“ kreisen, jede auf ihre Weise und mit ihrer eigenen Persönlichkeit, um dasselbe Thema: das des Überlebens. Die älteste Tochter sorgt sich um ihr Ledigsein, ihr ‚Ausbleiben’ von Kontinuität, die zweite um ihre künstlerischen Ambitionen – ein weiterer Ersatz für die Religion – , die dritte um ihre ‚nicht erwünschte Kontinuität‘, eine ungeplante Schwangerschaft, die für sie allein wegen des unmittelbar bevorstehenden Todes des Vaters zum Problem wird. Normalerweise würde sie nicht zögern, das Kind ohne jede Form von Gewissensbissen abzutreiben. Die jüngste Tochter sorgt sich darum, im Universum eine Antwort auf den Schmerz des Verlustes zu finden und die Mutter um die Alltäglichkeit des Lebens – die Empfindsamkeit oder Empfindungsfähigkeit vielleicht – , um diese kleinen Dinge, die unseren Verstand fern halten von der Furcht, die die Idee des Nichts hervorruft. Planck ist der einzige, der nicht nachdenkt und nichts sucht. Er ist vom ersten Moment an tot, er weiß es und akzeptiert es: Er ist glücklich, weil er alles, was er geschaffen hat, um sich hat, auf dem Totenbett.

Wie schon in „Das Blut“, sind die Frauen in „Die Zeit der Plancks“ außerordentlich stark. Haben Sie eher eine Vorliebe für weibliche Rollen?

Alle sagen mir dasselbe. Bei „Nach dem Regen“ passierte das gleiche. Ich weiß nicht, warum. Die Wahrheit ist, daß es in meinem Land mehr gute Schauspielerinnen gibt als Schauspieler. Vielleicht deshalb. Oder vielleicht, weil die Schauspielerinnen weniger Scham haben, in dem Moment, wo es gilt, sich dem Kampf zu stellen und offen ihre Gefühle zu zeigen, ich weiß es nicht. Ich mag es, wenn die Figuren „explodieren“ und ich glaube, daß Frauen, zumindest die, die ich kenne, weniger Hemmungen im „Moment der Explosion“ haben, sie kümmern sich weniger um den äußeren Schein. Ist das etwas Genetisches, oder allein etwas Soziales und Kulturelles? Keine Ahnung. Die beste männliche Figur, die ich jemals geschaffen habe, ist für eine Fernsehserie, die ich gerade fertig gestellt habe. Ich bin zufrieden mit dieser Figur. Ich glaube, es ist die einzige männliche Figur, mit der ich völlig zufrieden bin.

Sie sind häufig auch der Uraufführungsregisseur Ihrer Stücke gewesen. Was sind es für Gefühle, wenn Sie die Stücke danach von anderen Regisseuren inszeniert sehen, die andere Phantasien haben?

Nachdem es zunächst ich bin, der das Stück inszeniert, scheint es mir wunderbar, den anderen Regisseuren absolute Freiheit zu lassen. Niemals würde ich die Regisseure durch Anweisungen, die ihre Lektüre bei der Inszenierung meiner Stücke beeinflussen, einschränken. Da ich die Stücke ja schon inszeniert habe, können sie mit ihm gerne machen, was der Text ihnen vorschlägt. Manchmal haben mich die Inszenierungen meiner Werke durch eine unterschiedliche, für mich unerwartete Perspektivierung sehr angenehm überrascht. Ich finde es manchmal lustig, aber es stört mich nicht.


Woran arbeiten Sie im Moment?

Ich habe gerade eine Fernsehserie fertig geschrieben, aber keine Auftragsarbeit, sondern einen eigenen Entwurf. Es ist das erste Mal, daß ich ein Fernseh-Drehbuch mit der gleichen Ernsthaftigkeit und der gleichen Leidenschaft schreibe, mit der ich Theaterstücke schreibe. Es handelt sich um eine Serie über Psychoterror, ein Genre, das mich begeistert und dessen Umsetzung im Kino oder im Fernsehen mir nie gefällt, weil man dort die Gattung „Terror“ immer mit einer minderwertigen Untergattung für hysterische Jugendliche verwechselt. Ich habe versucht, eine Serie zu machen, die die Gattung nicht banalisiert und die sich, ohne auf die prinzipiellen Regeln der Gattung zu verzichten, mit dramatischen und sogar mit tragischen Aspekten unseres Alltagslebens kombinieren läßt, und die sehr viel Wert auf die Charaktere legt. Meine nächsten Theaterprojekte sind alles Regiearbeiten: „Quai West“ von Koltès und „Samstag, Sonntag, Montag„ von De Filippo: ein engagiertes Stück, radikal zeitgenössisch und eine große Komödie. Es gefällt mir, ständig die Gattung zu wechseln, um neue Dinge zu lernen und mich nicht zu langweilen.


Fragen: Claus Caesar
Übersetzung aus dem Spanischen: Anja Lemke