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Stifters Dinge

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"Heiner Goebbels' neues Stück ist auch so ein Symptom: Es reflektiert den Verlust von Natur, indem es Artefakte visuell und akustisch zu einer Natur-Maschine arrangiert. Es hat aufgehört, Theater sein zu wollen, kommt ohne Handlung, Interaktionen und dramatischen Text aus. ... Stifters Texte erzählen vom Eigenleben der Dinge, in dem Menschen eine wahrnehmende, kaum handelnde Randerscheinung sind. Heiner Goebbels' Installation arrangiert die Dinge so, dass sie eine Geschichte erzählen, die ihre eigene sein könnte: Was wüsste allein schon ein Klavier zu erzählen! ... Zugleich macht sie deutlich, dass Dinge nur dann von sich erzählen können, wenn sie zu diesem Zwecke hergerichtet worden sind und wenn es Menschen gibt, die ihre Geschichte auf sich wirken lassen. Das Stifter/Goebbels'sche Maschinen-Installations-Theater nötigt durch unbeirrbare Entschleunigung zu ruhiger, staunender Wahrnehmung und beschäftigt durch die Skurrilität und suggestive Klarheit seines Eigenlebens, das sich nicht zuletzt der verspielten Anwendung zeitgenössischer Technik verdankt. Eine geschlossene Mannschaftsleistung, die eine ambivalente Menschheitsleistung reflektiert.
Am Ende kommt langsam und hydraulisch geräuschlos die schwere Bühnenmaschine nach vorn gefahren. Nein, sie verbeugt sich nicht, aber sie will Beifall, ganz offensichtlich. Das Publikum muss sich damit abfinden, einer Maschine zu applaudieren. Das Theater fand in den Köpfen statt." (Frankfurter Rundschau)

"Zwei Bühnenarbeiter, die zu Beginn den Expeditionsraum zu dem Modell einer Stifterschen Schneelandschaft herrichten, sind die einzigen Darsteller in einem Raum, der, gesteuert von einem verborgenen High-Tech-Weltenlenker, seine Erzählung aus Licht, tönenden und stummen, beweglichen und starren Objekten und einer Montage aus Projektionen, Stimmen und Geräuschen entwickelt. Siebzig Minuten dauert dieser Prozess, und diese weise Beschränkung hilft, einen Beziehungszauber zu entfalten, der die Schönheit und den Eigenwert der einzelnen erzählerischen Elemente ausstellt. ... Dies ist die theatralische Verwandlung des Stifterschen Eiswaldes mit seinen Todesdrohungen, von dem zuvor zu hören war. Derart mit Bedeutung aufgeladen, gewinnt nicht nur jeder Ton, sondern auch jeder Augenblick der Stille gewaltiges Potential, und die eigentlich kurze Dauer spannt sich zu epischer Weite mit Stationen endloser Melancholie. Bilder brodelnder Urmaterie und ein zaghaftes Anknüpfen an den tickenden Anfangspuls inmitten einer musikalischen Trümmerlandschaft signalisieren am Schluss die Möglichkeit eines Neubeginns, begleitet von musikethnologisch dokumentierten Aufnahmen archaischer Gesänge, die allerdings gegenüber den anderen Tondokumenten verdinglicht, arabeskenhaft erscheinen."
FAZ, 8. Oktober 2007

Weite Ferne, so nah: "Stifters Dinge" von Heiner Goebbels
Zu den letzten, von Film und Theater uneingenommenen Literatur-Bastionen zählen (neben Proust und Pynchon) die Langsamkeitsorgien Adalbert Stifters. Dampfende Natur, Zeitlupen und ein zum Stillstand kommendes Handlungsrinnsal: Wo immer von Präsenz und epiphanischem Stil gefaselt wird, gilt dieser Meister der Ländlichkeit (und "Nachsommer"-Spezialist) als letzte Hoffnung. Er hat gezeigt, dass das Fremde sehr nah sein kann und doch immer fremd bleibt.Heiner Goebbels' neues Stück sollte erst "The Pianopiece" heißen. Dann muss Stifter dazwischen gekommen sein. Dessen impulsgebendes Spät- und Lebenswerk "Die Mappe meines Urgroßvaters" feiert die Illumination einer organischen Ding-Welt als sinnhaft erfahrbare Natur. Das ist schon bei Stifter selbst nicht ganz leicht zu ertragen. Wie bloß bringt man "Stifters Dinge" also aufs Theater?Im Haus der Berliner Festspiele sieht das jetzt so aus: Drei flache Becken, worin Staub, dann Flüssigkeit eingefüllt werden, teilen Klaus Grünbergs Lichtbühne längsseitig. Ein kinetisches Objekt aus fünf Klavieren, die Störgeräusche rhythmisieren (und Bach spielen), sind der akustische Protagonist des Klavierstücks ohne Pianisten. Dazu irritieren Interview-Schnipsel von Claude Levi-Strauss und eine Lesung von William Burroughs. Von oben fahren Dias von Gemälden Ruisdaels und Paolo Uccellos herab.Zunächst ähnelt Heiner Goebbels' Performance ohne Performer einer Maschine der Aktionskünstlerin Rebecca Horn - nur ohne Federn. Wie bei dieser ist der Übergang zum Kitsch fließend. Die mit kolumbianischen Indianergesängen unterlegten, auf Kriechnebel und Musik-Geplätscher (Sound-Design: Willi Bopp) gebetteten 70 Minuten illustrieren den Wunsch, die Dinge möchten endlich ihre Stummheit aufgeben, um direkt zu uns zu sprechen. Leider tritt das nicht ein. Je weniger Goebbels Performance tut, desto mehr will sie. Man nennt das: prätentiös. Ein phosphoreszierender Salzstein - oder ein Zimmerspringbrunnen - hätten dasselbe bewirkt.Anlässlich der Uraufführung vor drei Wochen im Théâtre Vidy-Lausanne falteten viele Kritiker metaphernreich die Hände. Heiner Goebbels' selten langweilige, zumeist unverkrampft innovative Werke (zuletzt "Eraritjaritjaka" nach Elias Canetti) werden von einer treuen Fangemeinde wie Sammlerstücke verehrt. Goebbels ist noch dazu ein Netter. Stets lächelt er beim Schlussapplaus wie ein Rolf Zuckowski der neuen Musik, der ein noch immer kriegerisch vermintes Genre in alle Richtungen versöhnen will. Dass so einer zum Säulenheiligen einer Musik-Avantgarde taugt, ist durchaus ein gutes Zeichen. Denn Goebbels experimentiert oder dekonstruiert nicht mehr. Er versucht zu retten, was zu retten ist. Und die Bruchstücke der Traditionen zu neuem Sinn zu vermitteln.Das alles ändert nichts daran, dass sein Neuestes bei der "Spielzeit Europa" der Berliner Festspiele wirkt wie eine Installation, die von der Documenta abgelehnt wurde. Anspruchsvoll und ein wenig peinlich. Man staunt nur, wie sehr Stifter noch heute zu irritieren und sich gegen Abbildung zu sperren vermag. Im Scheitern hat Goebbels ihm das größte Kompliment gemacht.
Kai Luehrs-Kaiser, Welt-Online, 12. Oktober 2007


Ein Lied in allen Dingen. Der Komponist Heiner Goebbels zelebriert die Abwesenheit alles Wichtigen. In Berlin hat er nun seine Klanginstallation »Stifters Dinge« vorgestellt

Was bleibt eigentlich vom Theater, wenn man sich den Menschen darin wegdenkt? Wenn die lärmende und schwitzende, immerzu ins Scheinwerferlicht drängende und alle Aufmerksamkeit auf sich ziehende Meute der Darsteller samt den Einfällen ihrer Regisseure in der Garderobe bleibt und das leere Bühnengehäuse im Dämmerlicht vor sich hin schweigt? Dann hat die Theatermaschinerie ihren großen Auftritt, und die Kulisse beginnt, mit sich selbst zu spielen. Dann füllt sich der Bühnenboden mit Wasser, und auf seiner spiegelnden Oberfläche schreiben sich oszillierende Lichtzeichen in den Raum. Prospektzüge fahren wie von Geisterhand gesteuert auf und nieder. Ein Diaprojektor kramt in seinem Gedächtnis und erinnert sich an Jakob van Ruisdaels Gemälde Sumpf und an die Jagd bei Nacht von Paolo Uccello. Die Lautsprecher wispern Zitatschnipsel aus Interviewmitschnitten, ethnologischen Musikaufnahmen und Rezitationen von Adalbert-Stifter-Texten, während im Hintergrund ein geheimnisvolles Felsmassiv rumort: fünf quer und hochkant verkeilte Klaviere, die zirpende, ratternde, stotternde Selbstgespräche führen.

Es ist ein merkwürdiger Theaterabend, der da im Haus der Berliner Festspiele in achtzig Minuten bedächtig vorüberzieht. Er zelebriert die Abwesenheit von allem Wichtigen. Er umkreist ein leeres Zentrum und erklärt den Rand zur Mitte. So ist es oft in den Bühnenstücken von Heiner Goebbels: Der Komponist, der unter Komponieren ganz im Wortsinne das Zusammensetzen von vielem versteht, hat nicht viel übrig für die Zentralperspektive, sein Blick geht schweifend über das vermeintlich Beiläufige und Ephemere. Der Musiker, der einst im Frankfurter Linksradikalen Blasorchester aktiv war, will keine Machtzentren auf der Bühne errichten. Er hegt Skepsis gegenüber allen sich demiurgisch gebärdenden Theatermachern, ihrem Regie-Aktionismus und der Bilderflut, die sie auf den Zuschauer niedergehen lassen. Goebbels’ Theaterkonzepte leben von der Offenheit der Räume und dem offenen Ausgang szenischer Suchbewegungen. Aus dem improvisierten und nicht selten zufälligen Zusammenwirken von Divergentem erwachsen bei ihm die künstlerischen Kräfte.

In seinem neuen Stück Stifters Dinge hat er deshalb den romantischen Dichter Adalbert Stifter für sich entdeckt. Auch er widmet sich auf seinen literarischen Streifzügen hingebungsvoll den Erscheinungen am Rande des Geschehens, vertieft sich in sie und bringt sie in ausführlichen Detailbeschreibungen zum Sprechen. Stifters Hingabe für den Gegenstand und seine Bedächtigkeit in der Betrachtung haben Goebbels fasziniert. Der von ihm zitierte Stifter-Satz »Wir harreten und schauten hin, ich weiß nicht, war es Bewunderung oder Furcht, in das Ding hinein zu fahren« klingt wie das geheime Programm zu seiner Klanginstallation.

Liebevoll hat der Profi des elektronischen Sampelns dieses Mal seine Musikapparatur von Hand zusammengebastelt. Tote Äste ragen aus dem Klaviergekröse. Es zischt Dampf aus den Ritzen hervor, und man sieht, wie bei der Klangerzeugung Klöppelmechanismen ausgelöst werden, Gelenkarme arbeiten, Zahnräder vor- und zurückschnurren. Einmal erklingt traumverloren das Adagio aus Bachs Italienischem Konzert, während in einem vernuschelten Interview-O-Ton der Ethnologe Claude Lévi-Strauss erklärt, dass ihm jegliches Vertrauen in den Menschen abhandengekommen sei. Einmal fährt die Maschine ganz nahe an die Zuschauertribüne heran und wirft sich gleichsam primadonnenhaft in Pose, indem sie rauscht und rattert, was die Klaviersaiten hergeben. Dann zieht sie sich wieder zurück, und der Zuschauer blickt auf eine Miniatursumpflandschaft, aus der kleine Blubberblasen aufsteigen, zerplatzen und als herbstliche Nebelschwaden über der Wasseroberfläche wabern. Sehr romantisch, das Ganze. Als hätte Heiner Goebbels bei seiner Klang-Raum-Installation neben Stifter immer auch an Eichendorff gedacht: »Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort…«

Claus Spahn, DIE ZEIT, 11.10.2007


Stimmen der Stille. Zwischen Eiswald und Klavierattacke bleibt alles offen in 80 Minuten: "Stifters Dinge" von Heiner Goebbels im Haus der Berliner Festspiele.

Drei Plastiktanks schimmern fahl, metallische Klänge sind zu hören, ab und zu ein dumpfer Schlag, hinten im Dunkel glühen Leuchtdioden in rätselhaften Geräten. Die Seitenbühne des Festspielhauses ähnelt einem Industrielabor – es würde passen, wenn jetzt Männer in weißen Schutzanzügen kämen, um mit strahlenden Substanzen zu hantieren. Doch die beiden Herren, die große rechteckige Siebe herbeischleppen und mit Sand füllen, tragen die schwarze Montur der Bühnenleute. Es ist ein Experiment, das hier beginnt, und es soll ins Herz der Dinge führen. Nur wird man dort nicht Moleküle finden, sondern Stimmen und Einsamkeit. „Stifters Dinge“ heißt die Installation, die Komponist Heiner Goebbels und Raumgestalter Klaus Grünberg hier realisieren.

Stifter, Adalbert? Ist das nicht der sanfte, gründliche Naturbeschreiber, Lichtjahre entfernt von Goebbels’ Lieblingsdichter Heiner Müller, dessen berstende Texte uns der Komponist früher rüde auf die Ohren hämmerte? Hier wird, zum Auftakt der Reihe „Paradies jetzt“, Stifter neu entdeckt. Seine Schilderung eines im Eis erstarrten Waldes ist von radikaler Präzision und lässt sich auf die „Dinge“ ein – so fokussiert, dass es Goebbels faszinieren musste, der schon immer die Geräusche der Welt in seine Stücke hineingesampelt hat. Diesmal verzichtet er ganz auf lebende Akteure und Musiker. Die beiden Bühnenarbeiter sind die letzten Menschen, die wir sehen, sie treffen ihre Vorkehrungen in der Ruhe einer japanischen Teezeremonie.

Dann sind die Dinge sich selbst überlassen, und die Klänge. Sparsam hat Goebbels sie eingesetzt. Teils kommen sie aus den Boxen rings um die Bassins, teils aus Röhren, denen durch ferngelenkte Klappen dumpfe Bassschläge entlockt werden. Und immer häufiger tönt etwas von hinten, aus einem Gebirge dunkler Geräte – es sind fünf alte Klaviere, die sich selbst spielen, digital gesteuert. Eins bringt nur Restgeräusche hervor, wie eine kaputte Spieluhr, eins spielt dreistimmig Bach, eines spuckt ab und zu Dampf. Sie bilden, einer Jules Verne’schen Wundermaschine ähnelnd, das Artefakt, selbst schon brüchig, das an die Stelle der Natur getreten ist. Natur finden wir nur noch bei Stifter, im Eis erstarrt, im Eis brechend. Der Text ist aus dem Off zu hören und wirkt stark.

So stark, dass für eine Weile alles andere nur noch dekorativ wirkt. Goebbels hat da viel riskiert. Er hat Stifter nicht zerlegt, er kommentiert ihn klanglich kaum, die paar Laute, die man hört, wirken eher, als nähmen die Geräte diese intensiven Sätze zur Kenntnis. Und auf einmal wird deutlich, wie viel uns von Stifter trennt, von seiner völligen Versenkung in die eine Situation, in den Sog dieses eisstarren, vom Eis tönenden Waldes mit seinem „Klingeln und Geschiener, als ob unendliches Glas durcheinandergeschoben und gerüttelt werden würde“. Dem setzt Goebbels Fragmente wie kleine Wärmequellen entgegen. Teile eines Interviews mit Claude Lévi-Strauss, ethnische Gesänge, ein Burroughs-Zitat. Zeichen von Verlassenheit, die sich nicht zu etwas Ganzem fügen.

Es ist ja auch kein Werk, das hier entsteht, sondern ein Raum, in dem man Ruhe und Weite findet und wunderbare Bilder, Lichtkissen etwa, die durchs Wasser der Bassins schweben. Über sie gleitet die Klavierfestung nach vorn und steigert sich in ein rasendes, boogieähnliches Tastengewitter. Es ist, als wolle Goebbels nach so viel Meditation auch mal Spaß und Tempo haben. Wer darüber hinaus auch noch Sinn sucht, muss ihn sich schon selbst erdenken – denn zwischen Eiswald und Klavierattacke bleibt alles offen in diesen 80 Minuten. Es bündelt sich nichts. Aber wie seltsam geborgen fühlt man sich zwischen all den Fragmenten.
Volker Hagedorn, Berliner Tagesspiegel, 7. Oktober 2007