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Schöner wär's wenn's schöner wär - der Kongreß

Im Gespräch: Matthias von Hartz


Claus Caesar: Warum interessiert du dich für das Thema Widerstand, das doch ein wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint?

Matthias von Hartz: Ich habe stärker als früher das Gefühl, daß politisch Dinge passieren, die sehr viele Leute nicht gut finden, die aber irgendwie trotzdem geschehen. Davon sind der Irak-Krieg oder die Agenda 2010 ja nur die prominentesten Beispiele. Sie finden statt oder werden umgesetzt, aber gewissermaßen gegen eine Form der volonté generale, so daß man sich fragt: Welche Möglichkeiten habe ich, mit solchen Phänomenen umzugehen oder sogar gegen sie anzugehen? Oder Globalisierung: Keiner weiß wirklich, was damit gemeint ist, es gibt eine diffuse Angst, und doch findet Globalisierung täglich statt und ist – wie die Politik behauptet – schuld an allem möglichen, sei das nun die Abwanderung von Arbeitsplätzen oder die Kürzung von Sozialleistungen. Am deutlichsten merkt man es vermutlich an der Ökonomisierung von Lebensbereichen, die früher vom finanziellen Kalkül, zumindest nach meiner Erinnerung, nicht betroffen waren. Auf seltsame Weise scheint Globalisierung also von außen über uns zu kommen, und keiner wars.

Caesar: Und jetzt?

von Hartz: Mein Interesse für Widerstand kommt unter anderem von solchen diffusen Angst- und Ohnmachtsgefühlen. Zum einen weiß man ja nicht mehr so richtig, wer eigentlich die handelnden Akteure sind, wer denn z. B. schuld daran ist, daß die Arbeitsplätze momentan immer weniger werden. Zum anderen ist auch nicht mehr klar, wie mit neuen Gegnern umgegangen werden soll. Es geht also auch um die Frage der adäquaten Widerstandsform. Beim letzten Generalstreik in Spanien hat sich beispielsweise eine Gruppe von Leuten gegründet, die in sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen stehen, die also auf sehr unsichere Weise als Selbständige frei arbeiten – wie es hier auch immer üblicher wird. Die haben festgestellt, daß sie in ihren Arbeitsverhältnissen von einem Generalstreik nicht profitieren. Für diese Leute beispielsweise funktionieren bestimmte Widerstandsformen nicht mehr, weil der Kapitalismus heute noch anders auf die Lebenswelten des Einzelnen durchgreift, als er das – hierzulande – in den letzten 50 Jahren getan hat. An die Stelle der tradierten Widerstandsformen müßten also neue treten, und es ist schon auffallend, daß sich mit dem Entstehen neuer Probleme in den letzten Jahren eine ganze Menge Widerstand entwickelt hat.

Caesar: Warum gehst du mit diesen Anliegen in ein Theater? Und warum machst du nicht einfach ein Stück?

von Hartz: Meiner Meinung nach läßt sich über eine künstlerische oder theatrale Auseinandersetzung eine andere Perspektive auf das Thema Widerstand herstellen als mit
einem Flugblatt oder einem Leitartikel. Warum ich nicht einfach Theater mache, dafür gibt es zwei Gründe. Erstens haben politische Vorgänge heute eine Komplexität erreicht, die nicht mehr einfach zu erfassen beziehungsweise abzubilden ist. Das Sprechtheater muß aber bestimmten Regeln der Reduktion folgen, es braucht einen Plot und auch so etwas wie psychologische Geschlossenheit. Beides ist, finde ich, nicht dazu geeignet, solche Komplexität adäquat abzubilden. Zweitens geht es meiner Meinung nach in der politischen und ökonomischen
Wirklichkeit weniger um Phänomene, die sich individualpsychologisch erklären lassen, sondern es geht erstmal darum, Strukturen zu verstehen. Und dazu sind andere künstlerische Herangehensweisen notwendig.

Caesar: Was können diese anderen Herangehensweisen leisten?
von Hartz: Naja, erstens bringen sie schlicht mehr Spaß. Zweitens sind Theater beziehungsweise Kunst ja immer auch Vermittlungsvorgänge, die Phänomene aus anderen Bereichen zugänglicher machen, indem sie etwa aus einem intellektuellen einen sinnlichen Vorgang machen und dadurch einen emotionaleren Zugang ermöglichen. Und nicht zuletzt schaffen sie es auch, Diskurse breiter werden zu lassen, ihnen eine größere Öffentlichkeit zu schaffen. Würde man zu einer Veranstaltung Widerstand im 21. Jahrhundert an der Universität mit 30 Wissenschaftlern gehen? Wahrscheinlich nicht. Umgekehrt ist es, glaube ich, auch gut für ein Theater als Institution, sich über andere künstlerische Formen Einflugschneisen
für Inhalte herzustellen, die sonst nicht auf der Bühne zu sehen sein würden

Caesar: Wenn du von heutigen Widerstandsformen spricht, welche meinst du dann?

von Hartz: Viele kreative Formen im Globalisierungswiderstand der letzten Jahre haben ermöglicht, daß sich auch Menschen daran beteiligen, die Demonstrieren nicht zu ihren Freizeitbeschäftigungen zählen. Drüberhinaus gibt es aber auch viele Projekte, die interessanten Widerstand im täglichen Leben gefunden haben. Die kanadische ›Adbusters‹ haben einen fairproduzierten NoBrand-Turnschuh auf den Markt gebracht. Künstler aus London haben eine Universal-Fernbedienung entwickelt, mit der man alle Fernseher ausschalten kann, die einen beim Einkaufen berieseln. Eine Gruppe aus Stuttgart macht ein absurdes künstlerisches Flexibilisierungstraining, wie es sich die Bundesagentur für Arbeit
gewünscht hat. Die Geheimagentur erarbeitet eine Performance über die Theorie und Praxis der Geldverbrennung, und die Hamburger Radio-Aktivisten LIGNA nutzen Anweisungen aus dem Radio dazu, den Zuhörern bei einer Tour durch die Innenstadt einen Blick auf einen utopischen öffentlichen Raum, frei vom Primat des Konsums, zu ermöglichen. Gegen den predigt auch Reverend Billy aus New York mit seiner Church of Stop Shopping. Regelmäßig stattet er Fast-Food-Ketten und Disney-Stores Besuche ab, um dort den Teufel von schlechten Produkten, inhumanen Arbeitsbedingungen und der Befriedigung überflüssiger Bedürfnisse auszutreiben. Und bei aller Sehnsucht nach heroischer Pose ist der Widerstand da im Alltag angekommen. Man braucht sich gar nicht mehr nur zu wünschen, daß es schöner wär, wenn’s schöner wär: Widerstand ist für alle da. Na also.