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Spielplan


Termine :

16. Januar 2004

Termine Glas Haus:

07. November 2004
13. Februar 2005

Frankfurter Dialoge 2004/05

Philosophische Salons von und mit Werner Hamacher

Konzept: Werner Hamacher


/ Salon 1
/ Klage, Anspruch und Fürsprache
/ Sonntag, den 7. November 2004
/ 15.00 Uhr
/ Glas Haus
/ Gäste: Jan Ritsema ( Regisseur und Theatermacher / Brüssel) und Gerhard Gamm (Philosoph / Darmstadt)

/ Salon 2
/ Antwort Schulden, Verantwortung
/ Sonntag, den 12. Dezember 2004
/ 15.00 Uhr
/ Glas Haus
/ Gäste: Klaus Günther (Rechtsphilosoph / Frankfurt) und Bernhard Waldenfels (Philosoph / Bochum)

/ Salon 3
/ Armut, Erfahrungsarmut und Spracharmut
/ Sonntag, den 16. Januar 2005
/ 15.00 Uhr
/ Glas Haus
/ Gäste: André Kieserling (Soziologe und Organisationswissenschaftler / Mainz) und Raphael Urweider (Lyriker / Bern)

/ Salon 4
/ Streik
/ Sonntag, den 13. Februar 2005
/ 15.00 Uhr
/ Glas Haus
/ Gäste: Christoph Türcke (Philosoph / Leipzig) und William Forsythe (Choreograph / Frankfurt)

Die Gespräche des vierten Philosophischen Salons am schauspielfrankfurt sollen von gesprochenen Beziehungen handeln, vom Verhalten zu Anderen wie es durch Sprache erzeugt und getragen wird. Dabei soll nicht allein von solchen Beziehungen geredet werden, die zwischen Vorhandenen (Personen, Sachen, Relationen) stattfinden, sondern vornehmlich von denen, die als defiziente oder, besser, offene Relationen charakterisiert werden können.

Im ersten Salon – am 7. 11. 2004 - werden unter dem Titel „Gespräche“ Weisen eines Zueinander-Sprechens diskutiert, das sich weder seiner Adressaten noch seiner Inhalte gewiß sein muß: der Klage, der Forderung, der Fürsprache etc. Klagen sind keine Anklagen, sie richten sich nicht an einen bestimmten Anderen, sondern formulieren zunächst nur die Erfahrung, verlassen zu sein. Imperative, insbesondere universelle wie der kategorische Kants, richten sich auf die notwendige Möglichkeit eines Sprechens und Miteinander-Sprechens, aber richten sich an diejenigen, die es noch nicht realisieren. Für sie gibt es kein `Gespräch´, keine Versammlung des Sprechens in einem gemeinsamen Medium oder gar einem Kollektiv, sondern bloß die Forderung, in der Weise zu sprechen, dass es zu einem im emphatischen Sinn verstandenen Gespräch überhaupt kommen kann.
Begriffe wie Kommunikation und Dialog, die lange zur Beschreibung von Gesprächsstrukturen herhalten mußten, könnten sich als Euphemismen erweisen, die ihre Analyse blockieren. Es muß präziser darüber geredet werden, was in Gesprächen geschieht.
Der zweite Salon – am 12. 12. 2004 - wird sich auf einen besonderen Umstand jedes Sprechens konzentrieren: dass es zu jeder Äußerung und jedem Austausch von Äußerungen eine Vorgeschichte gibt, deren Selektionsform „Tradition“ heißt und zu deren Implikationen nicht bloß Herkunftsversicherungen und Stabilisierungen, sondern im gleichen Maß Abhängigkeit, Schuld und Verantwortung gehören. Wer spricht, ist einem Anderen sein Sprechen schuldig. Er ist dafür verantwortlich, daß den Forderungen, Wünschen oder Erwartungen, die an ihn gerichtet werden, Genüge getan wird. Der Schuldkomplex, in den jedes Sprechen verstrickt, ist zunächst ein Komplex des Hörens, des Gehörens, des Zugehörens, Besitzens und sogar der Hörigkeit. Zu diesem Komplex gehören Machtinteressen und Bemächtigungstendenzen, die von Formeln wie der von der räsonnierenden Öffentlichkeit, der Wissensgesellschaft und der diskutierenden Klasse leicht überspielt werden. Wer spricht, ist aber auch künftigen Möglichkeiten gegenüber verantwortlich, die durch sein Sprechen eröffnet oder verschlossen werden – und da diese Möglichkeiten durch keine normative Bestimmung fixiert und durch kein entsprechendes Handeln ganz erfüllt werden können, ist jeder, der redet, zum Risiko der Verantwortungsunfähigkeit und weiterhin der Schuld verurteilt.
Was also schulden wir der Schuld, und wie verantworten wir uns vor dem doppelten Schuldrisiko gegenüber Tradition und Zukunft? Wie lässt sich für die Zukunft sprechen, ohne dies Sprechen unter das Verdammungsurteil von idealisierten Redegewohnheiten zu stellen, die als unabänderlich hingenommen werden? Wie kann man, besonders im Hinblick auf eine nicht-normative oder nicht-perfektionistische Sprachethik der Demokratie, Schuld von Verantwortung unterscheiden?
Im Sommer des Jahres 1933 hat Walter Benjamin der zeitgenössischen Erfahrung eine für diese Monate erstaunliche Diagnose gestellt: die einzige Erfahrung, die sich noch machen lasse, so schreibt er in dem Artikel „Erfahrung und Armut“, sei die des Erfahrungsverlustes und der Erfahrungsarmut. Im dritten Gespräch des „Philosophischen Salons“ – am 16. 1. 2005 - soll die Frage erörtert werden, welche Bedrohungen, aber auch welche Chancen mit der Erfahrungsarmut einer Gesellschaft verbunden sind.
Den Verlust des Verlustes muß man nicht beklagen, man muß ihn analysieren und nutzen. Kunst und Technik – und Kunst als Technik – setzen mit der Erfahrung ein, daß das, was da ist, zum Dasein nicht reicht. Bei allen Versuchen, diese Lücke zu schließen, wird das Nicht-Mehr, das Noch-Nicht oder Niemals immer aufs Neue definiert und gedeutet, aber immer bleibt es die Armut – und nicht nur die Knappheit – an Welt, Stoff, Geist, von der, ingeniös oder ingenieurhaft, die Künste und Techniken ausgehen müssen.
Die tabula rasa unter den bunten Warenideologien, die von den Künsten und Techniken immer wieder freigeräumt werden muß -, in welchem Verhältnis steht sie zu der Verelendung und den wachsenden sozialen Wüsten innerhalb und außerhalb der ersten und zweiten Welt, von der in der marktgängigen Rhetorik der „Globalisierung“ nicht mehr die Rede ist?
Von Streik ist immer öfter in einem übertragenen Sinn die Rede. Ehemals ein politischer Kampfbegriff des Proletariats, ist er in dem Maße, in dem die Aktionen von Arbeitern und Angestellten zur Verhandlungsroutine wurden, zu einer ironischen Bezeichnung funktioneller Störungen geworden. `Meine Gesundheit streikt´, `mein Magen, mein Arm, mein Computer streikt´ – so ist von Störfällen die Rede, durch die als normal angesehene Funktionen, man weiß nicht wie, beeinträchtigt oder außer Kraft gesetzt werden. Von Abstürzen in dysfunktionale Pausen soll im vierten Philosophischen Salon die Rede sein.
In der Ermüdung weichen die Phänomene zurück, in der Langeweile werden sie haltlos; die Weigerung oder Unfähigkeit, nach Regeln oder Erwartungen zu fungieren, eröffnet aber vielleicht erst die Möglichkeit, Etwas überhaupt als Etwas aufzunehmen. Der Streik soll eine völlig andere Arbeit ermöglichen. Mit jeder Vorstellung von einem „Streik“ verbindet sich traditionell die Vorstellung von einer Organisation oder Reorganisation, die ihm folgen sollte. Und Organisation, die sich nicht in bürokratischer Routine erschöpft, ist das, was gegenwärtig wohl nur an künstlerischer Organisation studiert werden kann. Die kompositorische Arbeit von Künstlern als eine der möglichen Antworten auf die Frage nach der politischen Organisation zu verstehen – das soll in diesem letzten Gespräch des „Philosophischen Salons“ – am 13. 2. 2005 - versucht werden. Wenn der Streik, sei er geplant oder der Kollaps von Plänen, am Nullpunkt des Handelns liegt, muß im Hinblick auf ihn auch die Frage präzisiert werden, ob wir tatsächlich politisch handeln, und wie das, was wir tun, wenn wir reden und miteinander reden, aus dem Bereich seiner Neutralisierungen heraustreten und zu einer veränderten Politik beitragen kann.


/ Werner Hamacher
ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main und im German Department und im Humanities Center der John Hopkins University, Baltimore, USA. Seit 2003 ist er Distinguished Global Professor an der New York University.
Zahlreiche Publikationen, u. a. Pleroma – dialecture de Hegel (1996), Entferntes Verstehen. Studien zu Philosophie und Literatur von Kant bis Celan (1998), Maser (1998). Weitere Veröffentlichungen zur Sprachphilosophie, Literaturtheorie und politischen Philosophie