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Termine Großes Haus:

30. / 31. Dezember 2005

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Schwarz auf Weiß

Hans Burkhard Schlichting über "Schwarz auf weiß"


"Schwarz auf Weiß" ist ein Stück ohne Protagonisten, ein Stück, bei dem das Ensemble selbst der Protagonist ist. Die jungen Musiker werden zu bewegten Hör-Spielern, die in szenischen Aktionen ihr
vertrautes Instrument nicht selten gegen andere Instrumente oder signifikante Geräuschquellen vertauschen. Der Kunstraum
des Musiktheaters wird zum Spielraum des Alltags. Die Kritik sprach von einem der wichtigsten Bühnenereignisse des Jahres
und erkannte in dem Stück ein Requiem auf Heiner Müller, der durch seine Stimme präsent ist – in einer Lesung von Edgar Allan
Poes Todesparabel Schatten: »Du, der Lesende weilst noch unter den Lebendigen: Ich, der Schreibende aber habe längst meinen Weg ins Reich der Schatten genommen.«
Heiner Goebbels hatte diese Aufnahmen bereits 1991 für die SWF-Synchronisation seines amerikanischen Hörstücks "Shadow
Landscape with Argonauts" gemacht und spontan entschieden, sie in die aktuelle Arbeit
einzubeziehen, als er während der Proben vom Tode Heiner Müllers hörte. Unter allen musikalischen Hörstücken von Heiner Goebbels
ist sein scheinbar textärmstes zugleich sein literarischstes. "Schwarz auf Weiß" nämlich handelt von Literatur im buchstäblichen
Sinne, gelöst vom literarischen Detail und ohne ins Reich der Fiktionen zu führen. »Für mich«, so Goebbels, »ist Schwarz auf
Weiß und auch Poes Schatten eine Parabel über das Schreiben, oder genauer über eine Form von Kunst, in der nicht nur eine Stimme
zu Wort kommt – der Schriftsteller etwa –, sondern so etwas wie eine kollektive Stimme, ein kollektives Ich, Erfahrung, Erinnerung. Diese Art von Schreiben hat für mich Heiner Müller repräsentiert, weswegen ich immer wieder gerne mit seinen Texten gearbeitet
habe. Eine unruhige Hand beginnt einen Text zu fixieren, der von der Irritation des Schreibens handelt: den Anfang von Maurice
Blanchots Roman "L’attente I’oubli" (Warten, Vergessen). Die Stimme des Schreibenden formuliert und repetiert das, was auf dem
Resonanzboden ›Schreibtisch‹ entsteht. Solche Mikroakustik von Schreibbewegungen setzt sich in musikalischen Klanggesten
fort und in räumlichen Aktionen, die auf akustische Pointen hinauslaufen, den Raum
gewissermaßen akustisch beschriften und markieren. Diese höchst lebendigen (und
also vergänglichen) Hörräume aber stellen sich im kollektiven Zusammenspiel her, während die zitierten Texte von Blanchot,
Eliot und Poe von einzelnen Ensemblemitgliedern in ihrer Muttersprache ins Spiel gebracht werden, freistehend wie erratische Blöcke. Die Texte handeln selbst
von Vergänglichkeit, von der Einsamkeit des Schreibens, von der Flüchtigkeit der Stimme und vom Verschwinden des Autors. Die wiederkehrende Stimme des Hörstücks ist die Tonbandstimme von Heiner Müller. Thematisch ist es für mich eine Art Abschied von Heiner Müller. Aber es ist kein Abschied in Form eines traurigen Requiems. Es gibt in dem Stück
durchaus Leichtigkeit und Humor. Und da ist auch eine Balance zwischen dem Charme eines Live-Ereignisses und der Reflexion. So
etwas geht nur mit hervorragenden Musikern wie denen des Ensembles Modern, die nicht
nur ihre eigentliche Profession ausüben, sondern auch szenisch agieren, sprechen, singen etc.«

Hans Burkhard Schlichting