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Claus Caesar im Gespräch mit Dea Loher


Claus Caesar: Die 1964 im bayerischen Traunstein geborene Dea Loher zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Dramatikerinnen der Gegenwart. Im Interview spricht sie darüber, warum sie den Begriff des politischen Theaters ablehnt, was sie an Brasilien interessiert und daß sie Authentizität auf der Bühne für eine falsche Kategorie hält. Alle Ihre Stücke, so unterschiedlich sie sprachlich und ästhetisch auch sind, widmen sich Themen, die man gesellschaftlich oder politisch relevant nennen könnte, von „Olgas Raum“, in dem es um Folter geht, über „Leviathan“ und „Adam Geist“, eine Sehnsuchtssuche am Rande der Gesellschaft, bis hin zu „Unschuld“ mit einer Geschichte über illegale Migranten im Zentrum.

Nichtsdestoweniger habe ich in einem Porträt über Sie gelesen, daß Sie den Ausdruck ›politisches Theater‹ für sich ablehnen. Warum?

Dea Loher: Ich fand, daß der Begriff
›politisches Theater‹, sofern man Theater ernst nimmt, ein Pleonasmus ist. Wenn man ihn also so betont, meint man damit, man macht besonders engagiertes Theater oder ist man zurück beim Agitprop oder muß man sich dringend gegen Unterhaltungstheater abgrenzen, aber wozu?

Caesar: Wie kommen Sie zu Ihren Themen?

Loher: Die finden mich schon, die Themen. Im übrigen bin ich eine Lumpensammlerin, man kann aus fast allem was machen.

Caesar: Inwiefern wünschen Sie bei der Arbeit an einem Stück Rückmeldung von Regisseuren oder Schauspielern?

Loher: Bei einer Uraufführung ist mir die Auseinandersetzung mit dem Regisseur vor und während der Proben extrem wichtig. Auch das Gespräch mit den Schauspielern. Ist ja kein Geheimnis, daß Andreas Kriegenburg meistens der Uraufführungs-Regisseur ist, und er ist für mich ein wichtiger Leser und Kritiker, neben dem Lektor sicher der wichtigste. Manchmal denke ich, er kennt meine Stücke besser als ich. Und auch mit den Schauspielern gibt es inzwischen so etwas wie eine Familie, die gegenseitige Neugierde und das Vertrauen zueinander erleichtern die Arbeit. Ich bin ganz sicher, daß erst durch eine längere Arbeitsbeziehung mit Höhen und Tiefen, Kämpfen, Scheitern und zwischendurch auch Gelingen überhaupt auf Dauer etwas Gescheites entstehen kann. Bevor das Stück, die Inszenierung sich auf der Bühne beweisen müssen, kann man viel reden und sich gut verstehen, aber im Grunde ist erst die fertige Inszenierung der Beginn der Zusammenarbeit; bzw. mit ihr fängt die Auseinandersetzung, die gegenseitige Kritik überhaupt erst an: was hat man geschafft, wo hat man versagt, wie kann es weitergehen, welche Fehler sind als nächstes dran …

Caesar: Hierzulande läuft seit längerem, beflügelt nicht zuletzt durch die ökonomischen Nöte der Kommunen, eine Debatte um Funktion und Stellung von Theatern, Kritiker fordern eine Rückbesinnung auf Bewährtes, die Spielpläne werden konservativer: Wie schätzen Sie aus Ihrer Perspektive die Situation zeitgenössischer Theaterautoren ein, ihre Chancen gespielt und nachgespielt zu werden?

Loher: Nicht besonders gut, weil die Theater immer noch oder wieder Angst haben, mit neuen Stücken Zuschauer zu verlieren. Und es nützt halt nichts, wenn hie und da der eine oder andere Nachwuchsautor gespielt wird, und dann stellt man fest, das Stück ist doch nicht so toll und die Inszenierung auch nicht, und das wars dann mit der Förderung. Aus meiner Sicht ist es unabdingbar, daß Autor und Theater einander begegnen mit dem Willen, längerfristig zusammenzuarbeiten, Mißerfolge und Erfolge gemeinsam durchzustehen; man versucht ja auch, die Arbeitsverhältnisse zwischen Regisseur, Schauspielern und Theater für mehr als eine
Spielzeit zu stabilisieren, und hofft, daß die Chemie stimmt und man eine gemeinsame Geschichte prägen wird.

Caesar: Sie halten sich zurzeit in Brasilien auf und haben im vergangenen Jahr mit „Das Leben auf der Praça Roosevelt“ auch ein Stück geschrieben, das dort spielt. Was interessiert Sie an dem Land, eventuell gerade im Unterschied zu Deutschland?

Loher: Das Land hier überlebt durch die Existenz von Parallelstrukturen, die sich neben denen des Staates ausbilden. Ein konkretes Beispiel, auf die Gefahr hin, daß es langweilig ist: In Brasilien muß jeder Arbeitnehmer in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, einen relativ hohen Beitrag und, wie bei uns, zahlt der Arbeitgeber einen Teil dazu. Diese
Pflichtversicherung garantiert zwar eine ärztliche Behandlung, aber ausschließlich in den staatlichen Krankenhäusern, und dort sind der Standard niedrig, die Belegquoten hoch und die Wartezeiten lang. Die Folge ist, daß die wenigen gut verdienenden Brasilianer zusätzlich einen sog. ›plano medico‹ abschließen, vergleichbar unserer Privatversicherung. Ich habe das nicht recherchiert, aber es dürften keine 10% der Bevölkerung sein, die sich diesen ›plano‹ leisten können. Und die werden dann von niedergelassenen Ärzten bzw. in Krankenhäusern behandelt, die zur Infrastruktur des ›plano‹ gehören. Allerdings verdienen auch diese
Ärzte, die ihre Arbeit über den ›plano‹ abrechnen, wenig, weshalb es wie bei uns zu Betrügereien kommt. Kurz, beide Systeme sind weder für die Ärzte noch für die Patienten befriedigend. Als Folge davon haben sich Ärztekooperativen gebildet, bei denen jeder für einen geringen Jahresbeitrag eine Mitgliedschaft erwerben kann. Braucht man dann eine Behandlung, geht man zu einem Arzt der Kooperative und zahlt pro Konsultation eine vergleichsweise geringe Gebühr. Damit ist sowohl den Patienten als auch den Ärzten geholfen. Dieses
System nennt sich ›plano parallelo‹, es ist vom Staat weder vorgesehen noch wird es unterstützt, aber wohl oder übel geduldet. Wie gesagt, ohne diese Art von ›Parallelplänen‹, die es auf allen Ebenen und in allen Bereichen gibt, würde das Land zusammenbrechen. Wie dies funktioniert, das interessiert mich. Eine Zukunftsvision, sei es im Guten oder Schlechten, für Europa.

Caesar: „Leviathan“ ist historisch genau recherchiert, alle Figuren – bis auf Frankie – haben reale Vorbilder: Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Bernward Vesper, Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhofs Schwester. Zugleich haben Sie eine Reihe von Zitaten aus Dokumenten und Äußerungen der RAF in den Stücktext verwoben. Inwiefern wollten Sie ein Stück über die Genese des linken Terrorismus in Deutschland schreiben? Anders gefragt, geht es Ihnen um so etwas wie Authentizität oder Echtheit?

Loher: Also, das sind ja erst mal zwei verschiedene Sachen. Authentizität auf der Bühne interessiert mich überhaupt nicht, ich weiß gar nicht, was das sein soll. Die Bühne ist künstlich; zu behaupten, da wäre irgendwas authentisch, ist Blödsinn oder eine falsche Vorstellung von Schauspielerei. Unabhängig davon ist es natürlich möglich, ein Stück über die RAF zu schreiben mit dem Ehrgeiz, die Entstehung so genau wie’s geht nachzuzeichnen, also der Versuch einer historischen Dokumentation. Das war nicht meine Absicht; – z. B. ist die Christine des Stücks eine reine Fiktion; daß sie der tatsächlichen Schwester Ulrike Meinhofs ziemlich nahe kam, habe ich erst viel später erfahren. Was mich interessierte, war der Versuch, aus der Kenntnis der historischen Vorgänge heraus eine Situation oder „die“ Situation zu finden, in der die wichtigsten
Entscheidungen getroffen werden, die alles weitere beeinflussen; also sozusagen die klassische Dramensituation, in diesem Fall: Untergrund oder nicht, Kampf oder nicht, bewaffnet oder nicht.
Und ich glaube, daß die Befreiung Andreas Baaders wirklich einen Wendepunkt darstellte: Die Studentenbewegung hat sich zu diesem Zeitpunkt erschöpft, Rudi Dutschke war Rekonvaleszent, Ulrike Meinhof, die luzide politische Analysen in „konkret“ geschrieben hatte, in den 60ern, hatte „Bambule“ produziert, einen Film über Mädchen im Erziehungsheim, der nicht gesendet werden durfte – und der Protest gegen den Vietnamkrieg hat mit der Aktion von Ensslin und Baader und deren Verurteilung ein merkwürdig nutzloses Ende genommen; mit
anderen Worten, die Versuche, die bundesrepublikanische Gesellschaft mit ernsthaften, subversiven und auch komischen, selbstironischen Mitteln – Bommi Baumann, Kommune 1– umzukrempeln, war versandet; sollte man dieses Scheitern hinnehmen oder weiterkämpfen? Wenn wir heute über die RAF sprechen, dann eigentlich nur aus dem Wissen um das Jahr 1977; mir ging es darum zu zeigen, daß die Mitglieder der RAF eine Geschichte vor 1972 haben, deren Handlungsmotive alles andere als verwerflich sind, die aber durch die Attentate der folgenden Jahre fast völlig überdeckt und vergessen wird.

Caeasar: Während der Vorbereitung habe ich gelesen, daß Andreas Baader im bayerischen Traunstein 1967 eine Jugendstrafe abgesessen hat. Sie sind dort geboren: Gibt es eventuell biographische Motivationen, daß Sie den „Leviathan“-Stoff für das Theater entdeckt haben?

Loher: Meine Mutter und die Mutter von Andreas Baader arbeiteten im gleichen Gebäude. Es spielt keine große Rolle.

Caesar: Eines der zentralen Themen des Stücks ist Maries Konflikt zwischen dem Wunsch nach individuellem Glück einerseits und der Forderung, sich in den Dienst eines Kollektivums oder einer Sache zu stellen andererseits. Das scheint aus der Mode gekommen zu sein. Oder sehen Sie derzeit eine Renaissance in Richtung Gemeinsinn?

Loher: In erster Linie sehe ich eine große Angst, Dinge zu verlieren, die bisher als gesichert galten: egal ob das jetzt die Rente, der Arbeitsplatz oder die Gesundheitsversorgung ist. Für viele Menschen eine greifbare und ganz reale Bedrohung. Aber die Angst, zu kurz zu kommen, nimmt mitunter surreale Formen an; ich habe neulich im Zug von Hamburg nach Berlin einen Mann beobachtet, der einen riesigen Koffer bei sich hatte, und offensichtlich aus Angst, keinen Sitzplatz mehr zu bekommen, anfing, auf eine Frau einzuschlagen, die ihm im Gang entgegenkam und den Weg versperrte. Woher diese Angst und die damit verbundene Aggressivität kommen, weiß ich nicht, ich beobachte nur das Phänomen: … Panik, weil man als Einzelkämpfer zurechtkommen zu müssen glaubt, weil man sich scheinbar oder anscheinend auf die Unterstützung und die Solidarität anderer nicht mehr verlassen kann? Diese Haltung wird durch die pseudoliberalen Parolen der Politik unterstützt, die mehr Einzelinitiative verlangt,
ohne daß es die Freiräume dafür geben würde oder ohne daß diese Einzelinitiativen zu einem
Erfolg führen könnten. Damit sind wir wieder bei dem ›Parallelplan› von oben.

Caesar: In den Kunstwerken in Berlin ist Ende Januar eine Ausstellung eröffnet worden, die zunächst ›Mythos RAF‹ heißen sollte. Hat sich für Sie die Wahrnehmung auf das Phänomen RAF in den letzten 10 oder 15 Jahren verändert? Inwiefern besitzen die Protagonisten der RAF mythisches Potential, sind sie Pop geworden?

Loher: Der Versuch der Eingemeindung in die Popkultur ist ja wohl auf ganzer Linie fehlgeschlagen. Finde ich jedenfalls. Kein normaler Mensch würde sich ernsthaft und
unironisch ein Andreas-Baader-T-Shirt anziehen wie man sich ein Guevara-Poster an die Wand hängt. Das tragische an den Helden der RAF ist, daß sie keine tragischen Helden sind. Und im Gegensatz zu Che Guevara, um bei diesem Beispiel zu bleiben, hatte die RAF kein klares Ziel, das auf einen kurzen, einleuchtenden Nenner zu bringen gewesen wäre, inklusive eines nützlichen Verbesserungsvorschlags, der dem folgen müßte; daß es sich bei der Bundesrepublik insgesamt um ein ›faschistisches Schweinesystem‹ handeln sollte, war dem demokratischen Bundesbürger schwer zu vermitteln, und so haben sich gerechtfertigte Forderungen wie die nach der Entfernung aller Altnazis von politischen Posten und sogenannten gesellschaftlichen Schlüsselpositionen auf verworrene Weise im Feldzug gegen ein abstraktes Feindbild verloren. Es sind traurige Revolutionäre in einem ganz und gar unromantischen Sinn, die sich verrannt haben im Kampf gegen einen Staat, dessen Vertreter am Ende allerdings
genauso ideologisch selbstgerecht dastehen wie sie selbst.

Caesar: Woran arbeiten Sie derzeit?

Loher: Darüber spreche ich noch nicht.

/ Dea Loher
wurde 1964 im bayerischen Traunstein geboren. Sie studierte Philosophie und Germanistik in München, anschließend ›Szenisches Schreiben‹ an der Hochschule der Künste Berlin. Seit 1989 lebt sie als Autorin in Berlin. Zu ihren Theaterstücken zählen u. a. Olgas Raum (UA
1992, Ernst-Deutsch-Theater, Hamburg), Tätowierung (UA 1992, Ensemble Theater am Südstern, Berlin), Leviathan (UA 1993, Schauspiel Hannover, Regie:Antje Lenkeit), Fremdes Haus (UA 1995, Schauspiel Hannover, Regie: Andreas Kriegenburg), Blaubart – Hoffnung der
Frauen (UA 1997, Bayerisches Staatsschauspiel München, Regie: Andreas Kriegenburg), Adam Geist (UA 1998, Schauspiel Hannover, Regie: Andreas Kriegenburg), Manhattan Medea (UA 1999, steirischer herbst Graz. Regie: Ernst M. Binder), Klaras Verhältnisse (UA 2000,
Burgtheater Wien, Regie: Christina Paulhofer), Der dritte Sektor. (UA 2001, Thalia Theater Hamburg. Regie: Dimiter Gotscheff), Unschuld (UA 2003, Thalia Theater Hamburg, Regie: Andreas Kriegenburg), Das Leben auf der Praca Roosevelt, (UA 2004, Thalia Theater Hamburg, Regie: Andreas Kriegenburg). Dea Loher erhielt unter anderem den Playwrights Award des Londoner Royal Court Theatre (für Olgas Raum, 1993), den Mülheimer Dramatikerpreis (für Adam Geist, 1998) und den Gerrit-Engelke-Preis der Stadt Hannover für ihr Gesamtwerk.