¯Zurück
 
Spielplan


Termine Glas Haus:

01. Dezember 2002

Frankfurter Dialoge-Salon 1

1.Dezember 15:00 Uhr Glas Haus
Fremdheit und Gastlichkeit

mit Bernhard Waldenfels

Gäste: Ulrich Bielefeld und Mihály Vajda




Fremdheit im radikalen Sinne beginnt dort, wo etwas auftritt, das sich weder aus Eigenem herleiten, noch einem Ganzen eingliedern läßt. Sie bringt die beiden Grundsäulen der Moderne, nämlich das autonome Subjekt und eine universale Vernunftordnung, ins Wanken. Sie ist nur denkbar im Zuge einer Fremderfahrung, die uns überkommt, überrascht, überfällt, bevor wir uns dessen versehen, bevor Verstehens- und Verständigungsbemühungen und weitere Aneignungsmechanismen einsetzen. Die Fremdheit beginnt im eigenen Haus als eine Form des Un-heimlichen (S. Freud).

Der Gast erscheint als Probe aufs Exempel. Die alte Institution der Gastfreundschaft, die sich in den verschiedensten Kulturen findet, auch in der griechischen und der jüdischen, rückt damit in ein neues Licht. Das verflossene Jahrhundert, ein Jahrhundert der Migrationen und Expulsionen, hat die Gastrolle neu geprägt, aber auch die zugehörigen Abwehr- und Eindämmungsmethoden vervielfältigt.

Wer „heute kommt und morgen bleibt“ (G. Simmel), gehört nie ganz dazu. Doch wer gehört ganz dazu? Galt nicht bereits Sokrates in seinem Athen als der Ortlose, als Atopos? Rührt nicht das Schicksal der Antigone an die Position eines Apolis jenseits der Polis? Die Hospitalität, die schon in der sprachlichen Verwandtschaft zwischen Feind (hostis) und Gast (hospes) etwas Schillerndes zeigt, öffnet den Weg zu einer Ethik des Anderen, die von fremden Ansprüchen ausgeht und nicht von Eigeninteressen und allgemeinen Normen. Der Fremde erscheint als Störenfried, der zu erfinderischen Antworten nötigt. Eine Ethik des Fremden wäre dann nicht denkbar ohne eine Politik des Fremden, die den Raum des Politischen immer wieder überschreitet. Nicht nur die Eliminierung des Fremden, auch seine Eingemeindung oder Neutralisierung wäre ein Akt der Gewalt, der jeder Gastlichkeit zuwiderläuft.

Mihály Vajda,

geboren 1935 in Budapest, studierte Philosophie und Germanistik an der Budapester Universität. Er gehörte zum Lukács-Kreis, der sogenannten Budapester Schule der Philosophie. Von 1961 an war er Mitarbeiter des Instituts für Philosophie an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. 1973 aus politisch-ideologischen Gründen entlassen, hatte er bis 1989 Berufsverbot. Seit der Wende ist er Professor für Philosophie an der Universität in Debrecen. Er hat Bücher veröffentlicht über Phänomenologie, Faschismus und viele philosophische Themen. Auf deutsch erschienen zwei seiner Bücher im Passagen-Verlag, Wien: Russischer Sozialismus in Mitteleuropa, 1991; und: Die Krise der Kulturkritik. Fallstudien zu Heidegger, Lukács und anderen, 1996.