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Spielplan


Termine Großes Haus:

27. / 28. April 2002
02. / 04. / 11. / 12. / 19. Mai 2002

Termine Glas Haus:

21. April 2002

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Spiel des Lebens

Von Knut Hamsun / Übersetzung von Christian Morgenstern

Regie: Armin Petras; Bühne: Susanne Schuboth; Kostüme: Susanne Schuboth; Musik: Reinhard Petereit, Reinhardt Repke; Darsteller: Roland Bayer, Susanne Buchenberger, Günter Lampe, Andreas Leupold, Peter Moltzen, Maurice Pieske, Sven Christoph Prietz, Maximilian Reich, Alexander Simon, Georgia Stahl, Silvio Verzi


"Ich glaube an nichts. Aber ich hoffe auf alles."

In "Spiel des Lebens", einem kaum bekannten Stück aus dem Jahr 1896, zeichnet der norwegische Literaturnobelpreisträger das Bild einer in sich zerrissenen Gesellschaft. Was einmal diese Welt zusammenhielt, scheint keine Gültigkeit mehr zu haben, und was an dessen Stelle tritt, scheint nicht zu funktionieren. Ein Unternehmer, der über dem Fund einer Marmormine verrückt wird, Welterlösungsphantasien, die verrauchen, die neuentwickelte Telegrafentechnik, die Menschen doch nicht miteinander reden läßt… und mittendrin die junge Teresita, um die sich alle männlichen Phantasien drehen. Maßlos ist sie in ihren Ansprüchen, unersättlich in ihrem Glücksverlangen und bereit, dafür über Leichen zu gehen. Dann überzieht ein gefährliches Fieber das Land. Es kommt aus dem hohen, wilden Norden. Und ein geheimnisvoller Mann durchquert die Straßen. Überall taucht er auf. "Ihr kennt mich allesamt", sagt er den Menschen, "und fürchtet mich." Eine Welt vor dem Untergang. Eine uns tatsächlich fremde Welt?

// Knut Hamsun. Das Spiel des Lebens oder ein Leben gegen den Strom

Eine literarische Wiederentdeckung zum 50. Todestag des norwegischen Nobelpreisträgers


Wer jemals etwas von Knut Hamsun gehört hat, der weiß zumeist drei Dinge: dass der Roman “Hunger” von ihm stammt, dass er den Literaturnobelpreis erhalten hat und dass er von Adolf Hitler empfangen worden ist, da er sich im hohen Alter öffentlich zu Faschismus und Rassismus bekannt hat.
Letzterem Umstand ist es zu verdanken, dass Hamsuns Bücher nach dem Krieg aus den deutschen Bücherregalen verschwunden waren und eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Hamsuns Leben und Werk nicht mehr stattgefunden hat. Knut Hamsun gehörte aber zu den Begründern der literarischen Moderne. Seine zivilisationskritische und neuartige Prosa begeisterte zahlreiche Autoren in Europa und Amerika.
Heute hat man schlicht und einfach vergessen, dass Ernest Hemingway versuchte, so zu schreiben wie er, dass ihn Henry Miller den “Dickens meiner Generation” nannte, dass Thomas Mann 1929 geschrieben hatte: “Niemals ist ein Nobelpreis an einen würdigeren Empfänger gegangen”. André Gide hielt ihn für wesentlich besser als Dostojewski, für Hermann Hesse war er sein “Lieblingsautor”, Isaac Bashevis Singer verkündete: “Hamsun ist der Vater der modernen Erzählform in jeder Hinsicht - mit seiner Subjektivität, seinem Hang zum Fragmentarischen, seiner Verwendung von Rückblenden, seiner Lyrik. Die ganze moderne Erzählweise des 20. Jahrhunderts geht auf Hamsun zurück.”
Doch in Abhandlungen über die Geschichte der modernen Literatur wird Hamsuns Name nur selten erwähnt. Sein Ansehen, das vermutlich im Jahre 1929 mit den Feiern zu seinem 70. Geburtstag den Höhepunkt erreichte, lag nach dem 2. Weltkrieg am Boden. Als einziger bedeutender europäischer Schriftsteller hatte er Hitler offen unterstützt, als einziger hatte er den Aufstieg des Inbegriffs der geistigen Tyrannei in der jüngsten Geschichte bejubelt und seinen Untergang beklagt.

Ivar Kareno, der autobiographische Held einer neuen Wirklichkeit

Kompliziert wie Hamsun war, sehnte er sich vermutlich nach einfachen Antworten. Beinflußt von Nietzsche, wie die meisten Geistesgrößen der damaligen Zeit, erhoffte er sich einen neuen Menschen, einen Übermenschen, den Vertreter eines “aristokratischen Radikalismus”. Die Hauptfigur in “Spiel des Lebens”, Ivar Kareno, bringt etwas von dieser Sehnsucht zum Ausdruck. Ivar Kareno ist der durchgängige Held einer Dramen-Trilogie, die 1895-1898 entstand und aus den Stücken “An des Reiches Pforten”, “Spiel des Lebens” und “Abendröte” bestand. Hamsun, der selbst um die 40 Jahre alt war, wendete sich in dieser Trilogie dem Thema des Alterns zu, den Veränderungen, die in einem Menschen vor sich gehen, und seinem Nachlassen in allem, wenn die rücksichtslose, prinzipientreue Leidenschaft der Jugend dem Kompromiss und den Verlockungen der Bequemlichkeit nachgibt. In “An des Reiches Pforten” ist Kareno Mitte 20, in “Spiel des Lebens” ca. 40 Jahre alt, in “Abendröte” ist er ein alter Mann.
Ivar Kareno ist ein zunächst junger Philosoph mit stark antidemokratischen Ansichten, die er ziemlich unmissverständlich (vor allem im ersten Teil der Trilogie) äußert: “Ich glaube an den geborenen Herrn, den Despoten von Natur, den Machtmenschen, der keineswegs gewählt wird, sondern sich selber zum Anführer der Horde auf dieser Herde aufwirft. Ich glaube und hoffe eins: und das ist die Wiederkunft des großen Terroristen, des eigentlichen Menschen, des Caesars...!” Es ist unübersehbar, dass Kareno Friedrich Nietzsche gelesen hat. Nun hat er selber ein Buch geschrieben und darüber seine junge Frau Elina vernachlässigt. Das Paar hat große finanzielle Sorgen. Kareno wird angeboten, sein Buch zu veröffentlichen (und damit genügend Geld zu bekommen), wenn er bereit sei, einige Passagen darin zu ändern. In seinem Stolz verletzt, lehnt Kareno diese Möglichkeit ab und verliert ob dieser Kompromisslosigkeit seine Frau an einen erfolgreichen Journalisten.
In “Spiel des Lebens” begegnen wir Kareno 10 Jahre später wieder. Inzwischen ist er Hauslehrer bei einem reichen Gutsbesitzer. Er ist noch immer der hingebungsvolle Philosoph, der mit leidenschaftlichem Interesse nach der Wahrheit sucht, was auf die Tochter des Dienstherrn, Teresita Oterman, eine magische Anziehungskraft ausübt.
In “Abendröte” ist Kareno dann 50 Jahre alt und inzwischen zur Hoffnung einer neuen jungen Generation von Philosophen avanciert, seine Frau ist zu ihm zurückgekehrt, und zwar mit einem Kind, das eindeutig die Tochter des Journalisten ist, der nun Kareno von seinen versponnenen Ansichten abbringen will und ihm anbietet, ihn ins Parlament zu bringen, wenn er sich öffentlich von seinen Leuten und Grundsätzen distanziert. Tatsächlich bricht Kareno nun mit den Idealen seiner Jugend.
In der Kareno-Figur formuliert sich eine Sehnsucht, die man als “modern” an sich bezeichnen kann. Die Welt und ihre dazugehörigen Systeme und Moralvorstellungen zerbrechen, alles ist unübersichtlich und für den Einzelnen unbeherrschbar und chaotisch geworden. Kareno aber sehnt sich nach einer fassbaren, logischen, geregelten Welt, nach fass- und lebbaren Zusammenhängen. Dazu schreibt er ein Buch, das die Trümmer der Wirklichkeit wieder zusammenfügen soll, ein utopisches, ethisches und normatives Buch, das die Welt retten könnte, wenn man es nur wahrnehmen würde. Doch nun will das Buch niemand verlegen, bzw. nur mit starken Einschränkungen. Kareno bleibt konsequent und verzichtet lieber auf die Publikation, als dass er seine Idee verriete. Der arme Literat hat ein Ideal, um dessentwillen er hungert. In allen Romanen von Hamsun treten solche “festen Charactere” in ironischer Brechung auf. Ihr “unbeugsamer Wille” trifft immer auf die Sehnsucht nach einem harmonischen Urzustand. Das tragische Potential von allen Hamsun-Figuren beruht auf dem unlösbaren Konflikt zwischen Sehnsucht und Erfüllung, und da diese Kluft unüberwindbar zu sein scheint, potenziert dieses Wissen die Sehnsucht der Figuren, stark sein zu können, ein Übermensch, ein Spieler, aber nicht Schauspieler seines eigenen Lebens zu sein.

Das Menschenbild Hamsuns

Doch der Mensch ist ein Lügner und Selbstbetrüger, er schafft sich die Zivilisation und ihre Scheinwerte selbst, weil er es nicht aushält, letzten Endes sinnlos gelebt zu haben. Hamsun entwirft radikale Figuren und betreibt radikale Desillusionierung. Er beschreibt den Effekt der verdinglichten, technisierten und damit entfremdeten Gesellschaft. Auch durch willentliche Freiheit kann man sich der kalten und traurigen Erfahrung, der letztendlichen Niederlage, nicht entziehen. Man kann diese traurige, existenzialistische Grunderfahrung und -einsicht lediglich zu Kunst (und Geld) machen. Der Mensch ist, seitdem er das Paradies verlassen musste und es im Irdischen wieder errichten wollte, dazu verdammt, immer von neuem den Zusammenbruch seiner Hoffnungen zu überleben (wie Nietzsches “Zarathustra” oder in Camus‘ “Mythos von Sisyphos”). In all seinen Schriften geht es Hamsun immer darum, ein verlorenes Paradies zurückzuerobern. Es ist ein von vornherein aussichtsloser Kampf, weil die Gesellschaft den Ort blockiert hat und bereits bestrebt ist, mit technisch-zivilisatorischen Mitteln ein Ersatzparadies nach dem Prinzip des Glücks der größten Zahl aufzurichten. Die Hauptfiguren Hamsuns stehen immer außerhalb jeder Gesellschaft, es sind Naturen, die aufgrund ihrer persönlichen Forderung ans Leben mit der Gesellschaft nicht klarkommen. Was immer sie tun, um in ihr Fuß zu fassen, sie bleiben isoliert, sind Produkte der Rationalisierung des vom Ursprung her Irrealen. Das subjektive Leben und dessen Schilderung ist etwas ganz und gar Irreales und Chaotisches. Die menschliche Gesellschaft aber muß das Chaotische des Lebens ordnen, muß ihre Mitglieder auf vernünftige Spielregeln verpflichten, und die dem Fortschritt verschworene Zivilisation verlangt eine solche Verpflichtung unerbittlich von jedem, der zu ihr gehört. Dann aber sind sie Vertreter der Vernunft und des Fortschrittsglaubens, denen das Leben kein Geheimnis, keine Hoffnung und damit keine Lebendigkeit mehr übrig lässt. Dann zerreißt die Verbindung zwischen Mensch und Natur, und was sie Freiheit nennen, ist dann nicht mehr als eine Parteiphrase. So steht der Mensch immer schon im Widerspruch zwischen Anspruch und Realität, zwischen Schein und Sein. Hamsun ist einer der ersten Autoren, die den möglichen Widerspruch zwischen einer je eigenen Wirklichkeit und einer möglicherweise dagegen stehenden scheinbaren Realität literarisch überzeugend formuliert hat.
Eines ist gewiss: Hamsun war ein mehrfaches Paradoxon, ein lebendes Rätsel, ein Fragezeichen in Menschengestalt. Er lieferte keine Antworten, sondern formulierte Frage um Frage.
Hamsuns wirkliches Thema als Schriftsteller war die Arbeitsweise des menschlichen Verstandes. Das zwanghafte Interesse seiner Hauptfiguren an sich selbst und an der verborgenen Auswirkung dessen, was sie sagen und tun, auf andere Figuren, macht ihn zu einem geeigneten Helden für das beginnende einundzwanzigste Jahrhundert. Seine Sicht der Persönlichkeit als absichtliche Erfindung und der Leute als Schauspieler, die sich selbst spielen, nimmt unsere Faszination vom Imagekult vorweg. Diese Entdeckung machte ihn zynisch - worin er wiederum modern ist -, aber nicht abweisend. Über sein Werk schreibt Hamsun: “Von Anfang an, glaube ich, gibt es in meinem ganzen Schaffen nicht eine Person mit einer solchen einzigen gradlinigen dominierenden Eigenschaft. Sie sind alle ohne sogenannten ‚Charakter‘, sie sind gespalten und zusammengesetzt, nicht gut, nicht böse, sondern beides, nuanciert, wechselhaft in ihrem Wesen und in ihren Handlungen. Und so bin zweifellos ich selbst.”

Spielplantechnische Überlegungen

Und dennoch oder gerade deswegen verkörpert Hamsun das extreme Beispiel jener seltsamen Tendenz in der Kunst, daß große schöpferische Revolutionäre persönlich reaktionär und antiliberal sein können. Im Bereich der Literatur fallen einem dabei Namen ein wie Faulkner, T.S. Eliot und Lawrence, wobei Ezra Pound und Louis-Ferdinand Céline Hamsuns extremem Beispiel noch näher kommen. Doch das darf kein Grund sein, sich nicht mehr mit Hamsuns Figuren auseinander zu setzen. Im Gegenteil: Vielleicht läßt sich im Erkennen und Verstehen des Menschenbildes eines großen Literaten der irrwitzige Irrtum erkennen, der Menschen wie ihn in die Nähe des Nationalsozialismus getrieben hat. Im diesjährigen Spielplan des schauspielfrankfurt nimmt die Produktion “Das Spiel des Lebens” und die Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk Hamsuns eine ganz bedeutende Rolle ein. Die Saison 2001/ 2002 steht unter dem Motto: Auf der Suche nach dem, was den Begriff des Subjekts ausmacht, nach der Bestimmung dessen, was es für das Heute noch bedeuten kann. Zu Spielzeitbeginn stand mit “Gold” von Peter Greenaway eine heutige Auseinandersetzung mit dem jüdischen Subjekt auf dem Programm; ein Versuch, anders mit Geschichte umzugehen als die Geschichtsschreibung bisher mit ihrer Tendenz, die einzelnen Subjekte und ihre Schicksale eher in den Hintergrund zu drängen. Ähnlich wie für fast alle anderen Stücke des Spielplans (z.B. “Elektra” oder “Simulacron”) wird hier die Frage nach Erinnerung thematisiert und die Notwendigkeit, sich mit der “Radikalisierung”, bzw. Ausgrenzung des einzelnen Subjekts zu beschäftigen, sei es auf der “bösen”, sei es auf der vermeintlich “guten” Seite.
Hamsuns zugleich extrem subjektive und dennoch distanziert kritische Sehweise des Subjekts und seine Figuren, die sich immer in einer Umbruchsgesellschaft bewegen, helfen uns vielleicht zwischen den klassischen, noch scheinbar klaren Begrifflichkeiten Molieres (“Menschenfeind”) und Kleists (“Penthesilea”) und den sich gegenwärtigen auflösenden und gleichzeitig weiter radikalisierenden Subjekformulierungen heutiger Autoren wie z. B. Elfriede Jelinek (“Raststätte”) oder Dea Loher (“Adam Geist”) zu vermitteln.

Jens Groß