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Spielplan


Termine Kleines Haus:

17. März 2002

Die Cenci

Matinée
Sonntag, 17. März, Kleines Haus, 11.15 Uhr
Eintritt Frei
Ein Text Ton Bild Vortrag
von Helga Finter

Das Theater und die Pest der Familie:
Artauds Wort-Ton-Theater der Cenci




Am 7.Mai 1935 gibt Antonin Artaud mit der Inszenierung von Les Cenci, „Tragödie in vier Akten und zehn Bildern nach Shelley und Stendhal“ dem Pariser Publikum eine erste Vorstellung dessen, was er seit Anfang der 30er Jahre in zahlreichen Vorträgen, Essays und Manifesten – 1938 publiziert in dem Band Le théâtre et son double – als Utopie eines „Theaters der Grausamkeit“ formuliert hatte. Von der Kritik und vom Publikum zwiespältig aufgenommen, von Artaud selbst im Nachhinein als ‚Kompromiß’ apostrophiert, erlaubt diese Arbeit das auch heute noch verbreitete Cliché von Artauds Theater als einem Theater ohne Text in ähnlicher Weise zurechtzurücken, wie zwölf Jahre später sein Hörspiel Pour en finir avec le jugement de dieu („Schluß mit dem Gottesgericht“), das Artaud selbst als „Grobversion“ - première mouture – seines Theaters der Grausamkeit bezeichnete.

Das Regiebuch seines Assistenten Roger Blin, die Kritiken der Aufführung, Erinnerungen der Zeitzeugen wie auch Artauds eigene Ausführungen vor und nach der Aufführung zeigen die Inszenierung als Konstruktion eines „affektiven Raumes“ (Pierre Jean Jouve), den die Präzision von Sprechweise, Musik, Klang, Geräusch und choreographierter Bewegung als unerbittliches Insistieren des Bösen für den Zuschauer sinnlich erfahrbar zu machen suchten. Die Auswahl eines Stoffes aus der Renaissance, wie auch die Absicht, in Zukunft Tragödien der Elisabethaner und Senecas auf die Bühne zu bringen, markieren eine kulturkritische und politische Funktion des Theaters: das Doppel der humanistischen Kultur, das von ihr Ausgeschlossene, das ihr Heterogene für den einzelnen als Teil von ihm selbst sinnlich erfahrbar und zugleich bewußt zu machen, um seinem acting out auf der sozialen und politischen Bühne Einhalt zu gebieten.
Es werden Ausschnitte aus C. T. Dreyers Jeanne d"Arc und Abel Gances Napoléon –sowie Gances Lucrèce Borgia mit den Szenen, in denen Antonin Artaud spielt, gezeigt.
Außerdem Zuspielung der CD der Radiosendung von 1947 Schluß mit dem Gottesgericht und Notationen der Bewegungsabläufe mit Overheadprojektion.


Helga Finter, Professorin am Institut für Angewandte Theaterwisenschaft, Justus-Liebig-Universität Giessen. Veröffentlichungen zu Artaud: u.a. Der subjektive Raum. Band 2: "... der Ort, wo das Denken seinen Körper finden soll": Antonin Artaud und die Utopie des Theaters, Tübingen: Gunter Narr, 1990


"Die soufflierte Stimme. Klangtheatralik bei Schoenberg, Artaud, Jandl, Wilson und anderen." In: Theater heute 1, 1982,45-51.
" Antonin Artaud and the Impossible Theatre. The Legacy of the Theatre of Cruelty",
in: The Drama Review 41, 4 (T146), Winter, 1997, 15-40
"Das Reale, der Körper und die soufflierte Stimme: Artaud, heute" in: Forum modernesTheater Bd 13/1, 1998, 3-17
" Antonin Artaud und der surrealistische "Bluff". Bretons und Batailles Schatten auf dem Theater der Grausamkeit", in: Gisela Febel, Françoise Joly, Silke Pflüger (Hrg.), PARADOX oder Über die Kunst, anders zu denken. Mélanges für Gerd Schröder, Stuttgart: quantum books, 2001, 208-218