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Endstation Sehnsucht

von Tennessee Williams
/ Premiere: Januar 2004 / Großes Haus
Dauer 2 h

Inszenierung: Burkhard Kosminski; Bühne: Florian Etti; Kostüme: Florian Etti; Video: Alexander Riedel, Bettina Timm; Dramaturgie: Jens Groß; Darsteller: Guntram Brattia, Katrin Grumeth, Friederike Kammer, Susanne Lothar, Sven Christoph Prietz; Musik: Jörg Gollasch


Soviel Zukunft noch vor sich und doch schon alles vorbei? Der aggressive, egomanische Einwanderer Stanley Kowalski hat seine Frau Stella schwanger und scheinbar hörig gemacht. Da erscheint ihre Schwester Blanche, die sie retten will und selber rettungslos verloren ist. Blanches Unfähigkeit, in der Wirklichkeit zu leben und das dadurch verstärkt auftretende Mißverständnis zwischen tatsächlicher und erträumter Realität, führt zur Katastrophe. Blanche provoziert Stanley, sein bester Freund Mitch verliebt sich in sie, Stella lehnt ihre Hilfe ab. Im folgenden Gefühlschaos vollzieht sich langsam die Auflösung der Persönlichkeit von Blanche, die mit Vergewaltigung und Irrsinn endet. Verwahrlosung, Lebensgier, Paranoia und Depression liefern die Koordinaten für dieses Stück, das um die Frage kreist, wie viel Lüge und Selbstbetrug man braucht, um das Desaster Welt zu ertragen.

Mit der freundlichen Unterstützung des Frankfurter Patronatsverein für die Städtischen Bühnen e.V., Sektion Schauspiel und von H+K Hoppe GmbH Malermeister

Im Sturm der Sternenstäubchen
Von Gerhard Stadelmaier

16. Januar 2004 Im berühmtesten und titelsprichwörtlichsten Stück von Tennessee Williams fährt 1947 eine Straßenbahn ("A Streetcar Named Desire"), die den Namen "Begierde" trägt, als Triebwagen bis zur "Endstation Sehnsucht". Und hinter der Endstation beginnt Symbol-County: das heiße, schwülfeuchte, dumpfe Land unterm Unstern des Südens, New Orleans 1947, in dem die Neurosen und Lebenslügen wie Sumpfblasen erblühen und zerplatzen und wo man sich vergeblich müht, mit den giftigen Blumenlöschblättern des Bösen den Angst- und Lustschweiß auf Stirn und Brust zu trocknen. Das Drama als Seelendampfbad.
Der Dramatiker verordnet seinem Personal denn auch: Alles ausschwitzen! Und so transpiriert Stanley Kowalski durch seine Kumpel- und Kerlshaut die proletarischen Polacken- und Macho-Allüren und die frauenvernichtende sexuelle Angriffslust. Dessen Frau Stella durch ihre Heimchen-am-Herd-Epidermis ihre sexuelle Ehe-Hörigkeit bis hin zur Selbstaufgabe. Deren Schwester Blanche DuBois durch die Schminkfassade der Grande Dame, die mit dem goldenen Herrenhauslöffel im Mund geboren ward und nun in die Zweizimmerklitsche der Kowalskis hinuntersteigt, ihr verkommenes Lehrerinnen-, Säuferinnen-, Prostituierten- und Gossenleben. Und all das immer bei hundert Grad. Aufguß alle fünf Dialogminuten. Kein Wunder, daß am Ende diese Sauna für Blanche, vergewaltigt vom Schwager Stanley, während Schwester Stella in den Wehen liegt, nur noch den Ausgang offenhält, der in die Klapsmühle führt. Während sich Stella und Stanley wohl bis in alle Ewigkeit weiter auf den feuchtheißen Liege- und Lüge-Brettern wälzen, die ihre Welt (sonst keine) bedeuten.
Quer gelegter Eiszapfen
Das Theater verhielt sich zu alledem bisher ungefähr so: Es sah, wenn es sich dem Stück überhaupt näherte, wie durch Sauna-Scheiben ein paar merkwürdig überhitzten und auch ein bißchen seltsam überlebten, vergangenen Leutchen beim naturalistischen Schwitzen und Verrücktwerden zu. Vielleicht klopfte auch der eine oder andere Spielvogt an die Scheiben und freute sich, wenn die eine oder andere Figur ein bißchen zusammenzuckte. Mehr aber war kaum drin. Und die ganz großen Regisseure ließen sowieso die Finger davon.
Jetzt, im Schauspiel Frankfurt, sitzt rechts in einem dicken, roten Fauteuil am Bühnenrand die Schauspielerin Susanne Lothar und läßt die Blanche DuBois frieren. Ihre breiten, starken Schultern, um die eine fuchsbraune Federboa drapiert ist, scheinen unterm Bibbern brechen zu wollen, als seien sie ein komisch quer gelegter Eiszapfen; ihr grellrot geschminkter, eingefroren gieriger Mund wirkt unter dem blondwirbeligen Haar, als schnappe er nach dem Alkohol, der im Whiskeyglas schwappt, wie nach einem Frostschutzmittel.
Welt in Weltraumleere
Die Schauspielerin, die ein Peter Zadek karrierelang grandios dazu angestiftet hat, ungeniert, phantasietoll und wunderbar verloren in amoralischen Jubelschauern sich in Frauenfiguren hineinfallen zu lassen, die sich im Sturzflug aus aller Gesellschaft hinausschleudern, zuerst als Wedekinds Lulu, zuletzt als Hure Yvette in der wunderbaren Berliner "Mutter Courage" - diese Theaterkunstfliegerin ist jetzt vom Szenensetzer Burkhard C. Kosminski immerhin dazu verführt worden, auch einmal zu landen. Als Schneekönigin von einem Theaterstern - in Frankfurt.
Kosminski, dessen Regie man zu jedem Moment anmerkt, daß er von Haus aus eigentlich ein Entertainer ist, der seinen manchmal auch derb-naiven Spaß an Figuren hat, ihnen aber nichts zuleide tun kann, zeichnet sich hier als Beleber aus. Das heißt: als Abkühler. Er stellt in dieser ersten wirklich großstädtischen Inszenierung, die das Schauspiel Frankfurt seit langer Zeit erlebt, sofort die Tennessee-Williams-Sauna ab. Die Schwüle, die Feuchte, die Hitze, der Dampf, der Aufguß - gestrichen. Was vom Überbau bleibt, ragt in Florian Ettis Bühnenbild zwar als völlig überflüssige und klischeevernutzte dreieckige Video-Segel-Installation in den leeren Bühnenhimmel, worauf hier und da die Gesichter der Protagonisten in Großaufnahme oder auch Städtebilder projiziert sind: von dieser Welt. Unterhalb dieser Konstruktion aber verlieren sich zwischen lockeren, eisernen Pfahlbautenkonstruktionen ein Diwan, ein Kühlschrank, ein paar Fauteuils. Eine Welt in Weltraumleere, bewohnt von komischen und rührenden Gefühlsneandertalern, als seien sie wie eben erst hergewehter ferner, exotischer Sternenstaub von irgendwelchen ganz unterschiedlichen Fremd-Raum-Körpern abgesprengt. Ihn bringt Kosminski dazu, um den Schneeköniginnen-Mittelpunkt herumzuwirbeln, angezogen und abgestoßen, immer aber von ihm dominiert. So wird der alte naturalistische Seelenreißer und Herzensthriller aus der Wohnküche zu einem Krieg der eisesheißen kalten Welten.
Ganzkörper-Phallusfarce
Mit einem schneeweißen Diadem auf der Stirn, dem kristallgrellen Ballkleid um den Körper, Seele und Herz wie in Eiskristallen zerborsten, sucht Schneekönigin Blanche verzweifelt, aber souverän nach Schmelz- und Siedemöglichkeiten. Aber der Stanley-Freund Mitch, bei dem sie einen Wärmeplatz sucht, tänzelt und raucht und küßt in Felix von Manteuffels embonpointfreundlicher Studienrats- und Muttersöhnchen-Ausgabe an ihr vorbei und durch sie hindurch. Während Guntram Brattia als Stanley grienend und lauernd den aggressiv durch die Eiseskälte schnellenden Macho gibt. Mit Mitch spielt er Computer-Karate (statt wie im Stück Poker), mit Stella Kater und Maus, mit Blanche Packeis und Eisbrecher. Dabei wirkt das ganze Underdog- und Einwanderer-Männchen immer wie höhnisch-verzweifelt erigiert, eine Ganzkörper-Phallusfarce, die Brattia biersaufend, gläser- und radiozertrümmernd ein wenig zu selbstgefällig hinlegt, als sei er ein König. Dabei ist er nur Vasall. Mit seinem glatten Schädel, den er samt seinem intriganten Reptiliengehirn als Schlaginstrument zu begreifen scheint, drischt er böse und hinterhältig, aber ohne persönliches Interesse auf Blanches Eisköniginnenseelenpanzer ein. Um diesen wiederum streicht Friederike Kammers schwermütig und lüstern verhangenes schwangeres Stella-Muttertier nur lauwarm und etwas langweilig herum, wenn Stella gerade nicht mit Stanley schmust oder nach Stanleys Prügeln und anschließendem Sex wie traumverloren wieder in die Unterwäsche steigt. Alle sind sie zueinander verdammt. Keiner kann den anderen erreichen. Keiner ist sicher. Jedem kann der Wahnsinn drohen. Auch Stella sitzt hier am Ende verwirrt und unaufhörlich gospelsingend wie aus der Welt gerückt, unerreichbar für alle anderen, nachdem der Irrenarzt als Gentleman Blanche abgeführt hat, artig ihr den Arm anbietend, aber ohne jede Verbindlichkeit.
Eine Gesellschaft ohne Haftung. Stäubchen ohne Halt. Jedes allein im Eissturm. Unsere Gespenster. Zeitgenossen. Und die Schneekönigin trägt auch Vergewaltigung, Wahnsinn und Klapsmühlenzukunft mit ganzen, hellen, tollen Sinnen, mit langen, strähnigen Haaren, die aber hinreißender als jedes Diadem wirken, als komme sie direkt aus Shakespeares Raumschiff herabgestiegen: Fräulein DuBois als Queen Lear. Ovationen.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.01.2004, Nr. 14 / Seite 35