Die blauen den kleinen, die gelben den Schweinen,der Liebsten die roten, die weissen den Toten
Zuschauerkritiken
Das Dilemma des Sprach/Tanztheaters
Nicolai Ohm / nicolai.ohm@tpp24.net
Was ist die bessere Kombination: hervorragende Schauspieler, die nebenbei ein bisschen tanzen oder hervorragende Tänzer, die nebenbei ein bisschen sprechen? Der Schwerpunkt von „die Blauen den Kleinen“ liegt eindeutig auf der ersten Kombination, der „Tanz“ beschränkt sich weitgehend auf Begehungen von Bühne + Zuschauerraum. Nichtsdestoweniger hat auf mich persönlich die Inszenierung einen tieferen Eindruck hinterlassen als etwa die inhaltlich nahezu belanglosen Inszenierungen des Frankfurter Balletts (Kammer/Kammer, Virginia Wolff, …). Es wäre zu wünschen, dass sich das Sprach/Tanztheater einen festen Platz im Schauspiel-Repertoire erobern kann, auch wenn das traditionelle Publikum (noch) lautstark protestiert.
Wie bereits gesagt, „die Blauen den Kleinen“ ist eine beeindruckende Inszenierung. großartige Artikulation der Müllerschen Texte und starke Bilder, die zum Teil dem herkömmlichen Bühnenrepertoire entstammen, aber z.T. völlig neu sind (i.e. die Achse durch Bühnenraum und Zuschauerraum).
Wunderschöner Rahmen der Bildbeschreibung
Uwe Schmidt / emu.schmidt@gmx.de
Warum wird in einem Zeitalter, welches hauptsächlich von Neuen Medien bestimmt wird, immer noch Theater gemacht? Welche Möglichkeiten hat das Theater als Medium, welche Cyberspace, Internet und Co. nicht haben? Diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich "Die blauen den Kleinen, die gelben den Schweinen, der Liebsten die roten, die weißen den Toten" sah; allein der Titel mag manch Einem, der tagtäglich durch die Bilderflut und die Schnelle der Informationsweitergabe geprägt ist, schon als Zumutung erscheinen: Wie kann denn eine (Theater)Produktion (will man eine Theaterinszenierung mit dem aus der Ökonomie kommenden Synonym bezeichnen, was an sich schon sehr bezeichnend ist, besonders in der Bankenstadt Frankfurt am Main)einen so langen Titel haben? Nun denn, auf zu konkreten Beobachtungen der Inszenierung: Nach 10 Jahren Eschberg-Intendanz sah man die Bühne des "Großen Hauses" nahezu bloßgelegt (was, nur der Vollständigkeit halber Tom Kühnel und Robert Schuster in ihrem "Faust I" auch verwandten, allerdings nicht ganz so offen und eben doch mit anderer Wirkung). Die Bühne wurde so für mich schon zu einem Raum, den ich neu entdecken konnte, bar jeglicher "Maskierung" durch ein Bühnenbild. Interessante Frage nebenbei: Ist die bloßgelegte Bühne wirklich, oder auch schon wieder eine Maske, und zwar nur dadurch, daß sie Bestandteil eines Schauspielhauses ist - oder etwa Beides? Jennifer Minetti, halb Frau, halb Mann und das auch noch halb-seitenverkehrt (wehe dem, der das hier liest, ohne die Inszenierung gesehen zu haben) mit Müllers Brechtzitat aus "Fatzer"; danach die Spielerin im Raum: Beeindruckend, ein Mensch inmitten der Bühnenmaschinerie, die in Frankfurt ja in mehrfacher Hinsicht so ihre Tücken hat. Das Herunterkommen ihrer Mitspieler an Seilen... Ein Programmheft, welches dank des Klettverschlusses und der Verunsicherung der Zuschauer ("Ist das jetzt das Ende?") zum akkustischen Beitrag des Abends wurde und somit auch dem Zuschauer die Möglichkeit gab, mitzuspielen; und das Ganze ergab sich ganz organisch (eine ständige Forderung an die Schauspieler seit Stanislawski)... Müllers "Bildbeschreibung" welche dadurch gerahmt wurde, daß die Schauspielerin, welche diesen Text sprach, Bühnen- und Zuschauerraum immer im Rechteck beging: Spieler und Zuschauer wurden so quasi zum Teil einer Bildbeschreibung, wenngleich manche (den zum Teil zornigen Reaktionen, welche die Inszenierung bei ihnen hervorrief, zu urteilen) vielleicht gar nicht Teil dessen sein wollten. Man braucht Zeit und Geduld, um sich auf so eine Art von Theater einzulassen: Qualitäten, welche im normalen Alltagsleben nicht mehr unbedingt als Tugenden angesehen werden. In welchem öffentlichen Raum, wenn nicht im Theater, ist so etwas möglich? Auch die z.T. wütenden Reaktionen mancher Zuschauer können Möglichkeiten eröffnen, mit diesen ins Gespräch zu kommen, um dabei eigene Standpunkte deutlich zu formulieren und die der anderen kennenzulernen. Warum wird immer noch Theater gemacht? Darum. Danke Heiner Müller, danke an Wanda Golonka und alle Mitwirkenden für "Die blauen den Kleinen, die gelben den Schweinen, der Liebsten die roten, die weißen den Toten" und spielt weiter miteinander. Euer Uwe Schmidt
Zuschauerflucht
Degenhard
Ungefähr die Hälfte der Zuschauer verließ das Theater.Man war an der "Darstellung des Magens von Heiner Müller" nicht interessiert.Dabei hätte man nur die Augen schliessen brauchen und man hätte die kräftige Sprache von Heiner Müller -allerdings auch die zerstückelt- auf sich einwirken lassen können, ohne die Inszenierung ansehen zu müssen. Weniger ist oft mehr.