Kleist einmal anders
Michelle / LadyMichelle@fantasyzauber.de
Das historische Ritterschauspiel schöpft aus dem vielseitigen Stoff des „Kätchen von Heilbronn“ die Schaumkrone der Ereignisse heraus. Inszeniert von einem der derzeit führenden Regisseure im Land, Armin Petras, dessen Dramaturgie z.B. bei Dantons Tod bereits überzeugte, lässt auch diese künstlerische Neugestaltung des historischen Genres nichts zu wünschen übrig. Der moderne Hippi-Graf Wetter von Strahl (Robert Kuchenbuch) überzeugt mit seiner grandiosen Darstellung, dass es sich bei dem Stück nicht um Nachgespieltes, sondern das Umsetzen historischer Szenen in moderne Lebensphilosophien handelt. Davon zeugt der Umgang sowohl mit dem naiv anmutenden Kätchen (Hilke Altefrohne) sowie mit der heute durchaus als Diva zu bezeichnenden Kunigunde (Miriam Wagner). Graf Wetter von Strahl verdrängt seine wahren Gefühle zu Kätchen durch eine, ihm bewusst kurze Leidenschaft zur durchaus attraktiveren Dame Kunigunde – ein Phänomen der heutigen Zeit! Ebenso kann das Kätchen den Grafen nicht loslassen, es klebt an ihm wie ein weggeworfener Kaugummi, deren Vater Friedeborn (Andreas Leupold) in Sorge um das edle Gemüt seines Kindes fast verzweifelt. Dass gespielte Schönheit nicht von langer Dauer sein kann, beweist der letzte Part Kunigundes (Susanne Böhwe) im Schlafgemach, wo sich ihre innere Hässlichkeit (durch äußerliche Krankheit dargestellt) offenbart. Der Bräutigam, Gottfried (Oliver Kraushaar), den Kätchen heiraten sollte und der sich, in Liebe entbrannt dem Vater anschließt, akrobatische Übungen im Rollstuhl vollzieht auf der Suche nach der einen reinen Seele und die darauffolgenden verschiedenen Darstellungen (des Kaisers z.B.) lässt den Zuschauer etwas verwirrt im Raum stehen. Wer „Kätchen“ im Original von Kleist nicht gelesen hat, kann sicherlich trotz genialem schauspielerischem Ausdruck von Oliver Kraushaar nichts mit den verschiedenen Rollen anfangen (z.B. Gottfried, der ausgesuchte Ehemann oder der erst am Schluss auftretende Kaiser), die m.E. einzeln darzustellen notwendig sind.
Für das deutsche Theater ist dieses Stück trotz kleiner Unebenheiten eine Bereicherung. Die eigensinnige Regie Armin Petras, gepaart mit den genialen schauspielerischen Leistungen, ergeben ein „Mehr und Mehr“ schöpferisch erschaffener Theaterbilder der neuen Zeit. Mit Sinn für den oft ironisch – sarkastischen Humor zwischen den Zeilen und der phantasievollen, oft schmerzhaften Tiefe der Realität gibt Regisseur Armin Petras sowohl den Schauspielern, als auch den Zuschauern die Möglichkeit, die eigenen Kräfte voll auszuschöpfen. Fazit: Wer ein klassisches Stück a la Ritterspiele & Co. erwartet, sollte sich auf die Verbindung zwischen Vergangenheit und dem „Jetzt“ einstellen oder sich überraschen lassen... Denn das Stück ist wirklich überraschend lebendig !