Schade nur, dass einige Zuschauer diese Leistungen gar nicht mehr mitbekommen haben, weil sie vorzeitig die Vorstellung verließen. Ich selbst war eine Zeitlang ebenfalls kurz davor. Später wurde das Stück erst erträglich, dann sogar richtig gut. Kurz vor Schluss ergab sich eine reelle Chance für ein "versöhnliches" Ende... die aber leider mit genau dem gleichen Stilmittel vertan wurde, welche mir vorher schon weite Teile der Aufführung vergällt hatte - nämlich dem übermäßigen Einsatz von, sagen wir, "Spezialeffekten". Diese wurden gerade zu Beginn überhäuft und, wie ich fand, beinahe schon penetrant eingesetzt. Teilweise wirkte das hektisch (Toneffekte beim Szenenwechsel), teilweise einfach nur nervtötend (Nicht enden wollende Videosequenz am Anfang).
Überflüssig fand ich die eingestreuten Verweise auf die Terrorismus-Thematik. Insbesondere bei den immer wieder gezeigten "WIR FORDERN"-Videos hatte ich den Eindruck, dass hier jemand den Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" gesehen hatte. Eine wirkliche Nachricht, oder einen inhaltlichen Bezug zur Handlung, konnte ich auch bei gutem Willen nicht erkennen. Ist allerdings einige Jährchen her, seit ich die Buchvorlage gelesen habe. Vielleicht ging"s da in einem Unterkapitel ebenfalls um die terroristische Forderung nach der Einstellung des Weinanbaus, und ich habe das nur vergessen.
An den Reaktionen im Publikum konnte ich erkennen, dass der exzessive Einsatz von Schlamm und Spritzwasser bei vielen auf Ablehnung stieß. Für mich selbst habe ich das erneut als eine Hommage an den BMK-Film eingeordnet, wo die Kinder von Ulrike Meinhof ja auch am Strand spielen. Das anschließende splitternackte Umkleiden im hinteren Teil der Bühne verstand ich als eine revolutionäre Geste von Aufgeschlossenheit und Modernität, wenn auch auf allgemeinem Sauna-Niveau.
"Chapeau!" für die Schauspieler. Mit der szenischen Verarbeitung der Kernhandlung konnte ich mich gegen Ende ebenfalls anfreunden. Die Inszenierung war hingegen nicht so mein Fall.
Jesus sagte "wer ohne Schuld sei, werfe den ersten Stein". Gewiß! Dennoch: hier werden alle Figuren mehr oder weniger egalisiert, als substanzlose Wesen charakterisiert, ortlos, orientierungslos. Nun sind zwar Orientierungsnot und die Fragwürdigkeit kulturell-zivilisatorischer Identität ein Effekt des aufklärerischen Selbstbefragungsprozesses, der Axiome und Prämissen des Selbstverständnisses in ihrer perspektivischen Gebundenheit und potenziellen Aufhebbarkeit vorführt. Auch sei zugestanden, daß existenzielle Verunsicherung nicht selten zu Zynismus führt. Aber es gibt auch unverbrauchte Traditionsbestände, von denen nicht wenige Menschen in nicht-naiver Weise zehren. Menschen, die zudem in hinreichender Weise ihr Leben nach ethischen Kriterien ausrichten ( "hinreichend" in Entsprechung zum Begriff der "hinreichend guten Mutter", wie sie die psychoanalytische Literatur nennt, welche zugleich auf die Problematik von Idealisierung hinweist ) . Ohne den Reibungsfaktor einer kulturell beheimateten, moralisch hinreichend integren Figur fehlt nach meinem Empfinden dem Stück eine menschliche wie auch dramaturgische Spannung. Das Stück gerät in Gefahr, zu einer schematisierenden , "globalisierenden" Farce sich zu verkürzen. Die "Wahrheit" über den Menschen liegt nicht in seiner überdehnten Entlarvung. Der Entlarvungshabitus selbst hat Konstruktcharakter. Wir Menschen gehen nicht auf in einer Gleichung, die alle unter die Rubriken der Verlogenheit und der Hilflosígkeit subsumiert.
Ist man in Übereinstimmung mit der Diagnose der Inszenierung, dann hat man (evtl.) einer ideenreichen, espritvollen Darbietung beigewohnt. Teilt man aber die Prämissen dieser Zeitdiagnostik nur bedingt ( wie ich ) , dann verspürt man ( evtl.) ein Ungenügen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß die negative Vereinheitlichung der Figuren/Menschen genau als jener (von mir angemahnte) provokationshaltige und besinnungsauslösende Reibungsfaktor installiert wurde. Renard Spikol