Prinzessinendramen
Renard Spikol / renard.spikol@gmx.de
Es bietet sich an, vier grundlegende Fragen zu stellen. 1. Ist der Genre-Mix eine Verlegenheitslösung, hinter der man sich verstecken kann, um nicht Farbe bekennen zu müssen, nicht belangbar zu sein? Das Werk, so könnte man sagen, ist ein Patchwork aus Elementen, die verschiedenen Gattungen zugeordnet werden können: der modernen Märchenadaption, der Charade, der Persiflage, dem absurden Theater, der Groteske, dem Rollenspiel, dem Mysterienspiel, der Allegorie. Es gibt Situationen, in denen es angemessen ist, sich im Rahmen des Sinnmachenden, relativ unzweideutig (ohne Preisgabe des erforderlichen Komplexitätsbewußtseins) zu äußern, z.B. bei bestimmten politischen und ethischen Fragen. Es gibt aber auch Erfahrungskomplexe, im Hinblick auf die eine farbebekennende Selbstpositionierung anmaßend und vormodern wäre, eine unangenehm stramme Selbstsicherheit, die einhergeht mit mangelnder Sensibilität für die Fragwürdigkeit von eindimensionaler Bekenntnishaftigkeit wie auch für die Vergänglichkeit konsensueller Wahrheitsbestimmung. Im ersten Dramolett sagt die Doppelfigur Tod/Wahrheit denn auch sinngemäß, es wäre besser, die Wahrheit zu vervielfältigen ( hier: siebenfach); die perspektivische Gebundenheit von Wahrheitsansprüchen wäre damit veranschaulicht, evident gemacht. Dies führt zur zweiten Frage: 2. Sind die zahllosen Äußerungen, teils logisch, teils alogisch, teils abstrus-logisch, teils ungetrübt bizarr, ein unentwirrbares Geflecht, hinter dem man bequem ein verbindlicheres Nachdenken vermeiden kann? Mir scheint, die verschiedenen Bestandteile dieses Konglomerats von tief- bis unsinnigen Äußerungen bilden Wirklichkeit (ein fragwürdiger Singular!) adäquat ab. Es gibt "rationalitätskompatible" Bereiche der Wirklichkeit, die abgebildet werden können in diskursüblichen Mustern der Beschreibung und der Darstellung (wiederum Politik und Ethik etwa). Andere Segmente unserer Wirklichkeitserfahrung weisen eine Textur auf, die von rationaitätsabweisender Beschaffenheit ist (historische Traumata, Naturkatastrophen, vielleicht der hier thematisierte Tod). 3. Hat die klamaukgesättigte Inszenierung eine textbezogene Legitimation, oder dient sie "nur" der belustigenden Unterhaltung und der Vermeidung von gewichtigen (bei aller köstlichen Abstrusität in der Textvorlage) Setzungen angesichts von Tod und Macht als zentralen Motiven? Mir scheint die inszenatorische Umsetzung/Übersetzung der Textvorlage kongenial zu sein. Das Klamaukhafte wie auch der Gattungsmix eignen sich auch für eine feministische Umdeutung männlicher Präpotenz. Der als männlich dargestellte Tod ( im Gegensatz zu den romanischen Kulturen, wo der Tod als weibliche Macht konzipiert ist: la mort, la muerte, la morte ) (Tod als Gegenbegriff zu Leben,Liebe, Kreativität, Empathie) wird in seiner lächerlichen Schwäche vorgeführt. Bretterschmeißend, und damit Gruben und Gräber aushebend, charakterisiert er sich als ein Nimmersatt, der hin und wieder gern kleiner wäre; und in seiner unbeherrscht-unsouveränen Fuchtelei und Anbiederung beim beherzt-gewitzten Schneewittchen gibt er keine autoritative ( nicht zu verwechseln mit autoritär!) Figur ab. - Auch der küssend zum Leben erweckende Prinz (Herr über Leben und Tod also wie die Sklavenhalter einer Machokultur) wird in seiner Anmaßung von dem dialektikgeübten Dornröschen in seiner verfehlten Selbsteinschätzung überführt. Nun hat hier entweder der Regisseur oder der schlaue Zufall oder der hintergründige Blechbläser es so eingerichtet, daß zeitgleich zum (mißlingenden - denn ihre narkoleptischen Anfälle wiederholen sich) Erweckungskuß des Prinzen besagter Blechbläser, kräftig schüttelnd, sein Posaunen-Mundstück vom akkumulierten Speichel befreit. - In Entsprechung zum Gattungsmix sind die männlichen ( aber auch die weiblichen; Elfriede Jelinek ist zu klug um selbstgerecht zu sein ) Charaktere Mischwesen, etwas kläglich zusammengesetzt aus dem Vielerlei sich selbst inszenierender Zeitgenossen. 4. Ist die Zusammenstellung dieser drei Dramolette geglückt, motiviert? Ein Schuß vor und nach dem dreifältigen Theaterstück bildet die formale wie auch die inhaltlich bestimmte Klammer (schließlich illustriert der Schuß den das Werk leitmotivisch konfigurierenden Tod). - Der erste und der zweite Akt werden textuell durch das Motiv des Supermarktes, das zweite und das dritte Dramolett durch das Motiv der Rose klammerartig zusammengehalten. Inszenatorisch werden die ersten beiden "Akte"/Teile durch den herrlichen Einfall dergestalt miteinander verschränkt (musikologisch könnte man von der Durchführung sprechen) , daß ein Spielzeug-Pianino den an Grandiositätsvorstellungen leidenden Tod und Prinzen in akustischer Untermalung karikierend zugeordnet wird. Eine andere Szene, in der ein Musikinstrument köstlich instrumentalisiert wird: ein Blechinstrument-Teil legt sich wie ein todbringendes Folterinstrument um den zarten Hals der Protagonistin, den Tod hiermit wieder karikierend. Epilogähnlich möchte ich - bei so viel Musik und Tod und Absurdität -schließen mit einem Zitat aus der Autobiografie des Pianisten Gary Graffman ("I really should be practising", Doubleday ..., 2001, S. 174) : "Lesson Number Three came long after Sascha Greiner and Theodore had departed for a better world, and it was: Very rarely does anything get any better." Renard Spikol