Werktreue?!
Norma Schneider / queen_of_gondor@t-online.de
Eine klare Inszenierung mit hohem Tempo und auf hohem Niveau - wie man es von Simone Blattner gewohnt ist. Tolle schauspielerische Leistungen und beeindruckende Chorszenen. So weit so gut. Alles Andere ist aber leider eher enttäuschend: was man zu sehen bekommt ist Schiller und keine Interpretation, kein Fragezeichen, kein Nichts. Ohne jegliche Kritik an der Vorlage wird das Stück auf die Bühne gebracht - keinerlei Bezug zur Gegenwart wird deutlich. Hier wird nicht "gesucht", sondern hingenommen, was der Text vorgibt. Die wichtige Frage, ob tatsächlich eine göttliche Macht vorhanden ist, die Johanna leitet, wird nicht diskutiert, sondern es wird einfach gemäß Schiller dargestellt. Aber entspricht das noch der modernen Weltauffassung? Diese Frage gäbe doch Anlass zur Diskussion, doch diese Diskussion kommt hier nicht auf. Ich komme mir ein wenig vor, als würde mir ein Märchen erzählt werden - mit kitschigen Liedern und einer ins Fantastische entrückten Handlung - und am Ende tun sich die Himmelspforten auf... Aber ein Märchen möchte ich eigentlich nicht sehen - und wenn doch, gibt es sicher schönere.
Viele interessante Aspekte gibt es in diesem Stück: wie schnell Menschen jemanden fallen lassen, den sie zuvor verehrt haben, die Aussage "Gott braucht blinde Diener" - so viele interessante Ansätze, so viel Aktualität! Doch leider muss ich mir diese Aktualität aus einer Geschichte herauszerren, die nichts mit mir zu tun hat, weil sie in dieser Inszenierung nicht aus der Vergangenheit und aus der vergangenen Weltvorstellung herausfindet. Wäre eine heutige Johanna nicht vielleicht ohne göttliche Hilfe stark genug, um zu kämpfen? Würde die Liebe eine heutige Johanna an sich zweifeln lassen oder würde sie sich nicht vielleicht eher von Gott abkehren und an sich selbst glauben? Vielleicht, vielleicht nicht. Es ist nicht so, dass diese Inszenierung diese Fragen offen lässt - sie stellt sie erst gar nicht. Die totale Gottergebenheit wird mit Singsang verklärt, anstatt sie als Wahn zu entlarven oder zumindest in Frage zu stellen. Beim Rausgehen hörte ich eine Frau sagen, das sei seit langem die erste schöne Inszenierung gewesen. Schön ja - aber das reicht meiner Meinung nach nicht aus. Theater darf auch schön sein, aber es darf nicht bequem sein. Doch diese Inszenierung ist leider alles andere als unbequem. Sie ist zu nah an Schiller und somit zu weit weg von heute und den Problemen der Gegenwart.
Eine handwerklich beeindruckende Inszenierung, die leider die große Chance verpasst, zu zeigen, welches Potential das alte Stück auch heute noch haben kann - nämlich dann, wenn man es in Frage stellt. Religiöser Fanatismus ist etwas Heutiges - nur sieht heute alles etwas anders aus, als vor 200 Jahren. Gottergebenheit ist Gottergebenheit geblieben, aber die Einstellung der Menschen hat sich geändert! Würde eine heutige Johanna mit ihrem blinden Gottvertrauen nicht einfach scheitern, anstatt dann doch belohnt und aus dem Kerker befreit zu werden und dann ins Himmelreich zu entschweben, während alle vor ihr niederknieen - "kurz ist der Schmerz doch ewig ist die Freude"-?! Dabei heißt es doch "Wo bleibt das Himmelreich?". Liegt es denn wirklich so nah?
Idee?
Morten Langfeld
Ich habe gestern die Premiere der Frankfurter "Jungfrau" gesehen: Leider biederes Textaufsage-Theater mit in der Regel affektiert laut sprechenden und in Intervallen verweifelten Rollenträgern. Angelegt ist das Ganze wohl als eine reduzierte Versuchsanordnung, wobei leider das Erkenntisinteresse nicht deutlich wird. Ich zumindest habe keine Idee zu den Figuren oder den Themen des Stückes gesehen. Schade. Man werfe das Hörbuch in den CD-Player und hat ungefähr ein ähnliches Erlebnis wie an diesem Abend.